Der britische Glühwurm

Churchill

Am 24. Januar jährte sich der Todestag von Sir Winston Churchill zum 50. Mal. Der Staatsmann, Maler, Schriftsteller und Soldat wird in Großbritannien verehrt: Er gilt als derjenige, der die Welt vor Hitler und dem Nationalsozialismus gerettet hat.

*

Die Karriere dieses Mannes, wuchtig in Gestalt und Wortgewalt, durfte getrost als beendet, geradezu gescheitert bezeichnet werden. Er war 65 Jahre alt und „brillant“, das schon, aber viele seiner Kollegen schrieben ihn als „unzuverlässig“ ab. Er hätte zu einer Fußnote der Geschichte gereicht, doch dann kam Hitler. Und Winston Leonard Spencer-Churchill stieg zur epochalen Figur auf.

Es war der 13. Mai 1940 und der britische Politiker war erst drei Tage zuvor von König Georg VI. zum Premierminister eines Landes ernannt worden, das als letztes noch nicht von den Nazis besetzt war. Da hielt der begnadete Redner eine Ansprache vor dem Unterhaus, die in die Geschichte eingehen sollte. Die den Menschen einen Widerstandswillen einpflanzte, der über die folgenden Jahre gedieh. Die zu Krieg mit aller Macht und Kraft aufrief, um gegen die „ungeheure Tyrannei“ einzustehen. „Ich habe nichts anzubieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß. Uns steht eine Prüfung von allerschwerster Art bevor.“ Winston Churchill wusste, was folgen sollte. Als permanenter Mahner vor Adolf Hitler und der Wiederaufrüstung Deutschlands wurde er von seiner konservativen Partei lange als „kriegstreibend“ angefeindet, sie diskutierte über Friedensverhandlungen. Doch Churchill befand: „Lieber kämpfen als kapitulieren.“ Kurz nach Amtsantritt war die Schlacht um Frankreich verloren und jene um die Insel hatte begonnen. Dem britischen Militär gelang in der Luftschlacht um England und der Abwehr einer Invasion der erste Sieg. Damit legte Churchill das Fundament für seinen Aufstieg zum „größten Briten aller Zeiten“, wie eine BBC-Umfrage ermittelte.

1874 als Sohn eines englischen Aristokraten und einer Amerikanerin geboren, prägte Churchill neben dem Zeitalter der imperialen Größe Englands vor allem das Militär. Er hatte mit 25 Jahren bereits vier Kriege erlebt, „fürchtete weder Tod noch Teufel“, sagt der deutsche Journalist und Autor Thomas Kielinger, der seit 16 Jahren in London lebt und in „Der späte Held“ die Biografie des Ausnahmepolitikers nachzeichnet. Das Buch liest sich wie ein Abenteuerroman und ein Abenteurer, das war Churchill. Mit Tugenden wie Entschlossenheit, Kampfeswille, mit einer ungeheuren Energie und einem Imponiergehabe „kam an ihm niemand vorbei“, so Kielinger. „Er war ein mutiger Mann, aber immer mit einem kleinen Blick auf das Publikum.“ Nicht zuletzt deshalb achtete er auf seine Außenwirkung. „Churchill war auch ein Schauspieler und pflegte sorgfältig jene Accessoires, die zur Marke gehörten.“ Die Zigarre, der Gehstock, die Zylinder und Hüte, das V-Siegesfingerzeichen – Churchill übte sich schon früh als Meister der Selbstinszenierung und Vermarktung. Arroganz gehörte dazu. „Wir alle sind Würmer. Aber ich glaube, ich bin ein Glühwurm“, prangt einer seiner Zitate am Eingang des Londoner Churchill-Museums, das angegliedert ist an die „War Rooms“ – jener Regierungsbunker, der dem Kriegskabinett während des Zweiten Weltkriegs als Kommandozentrale diente.

Churchill trat als Kriegsheld in die Politik ein und seine Auffassung war, sich hier genauso zu schlagen wie in einer Schlacht, ohne Ängstlichkeit. Nicht anders dürfte es zu erklären sein, dass er zwei Mal die Partei wechselte. „Das Schiff verließ die sinkenden Ratten“, so nennt es Kielinger. Er besetzte fast jeden klassischen Ministerposten. Doch erst einmal scheiterte er, weil er als Marineminister die britischen Soldaten in Flandern nicht länger „Stacheldraht kauen lassen“, sondern den großen Entlastungsangriff im Osten wagen wollte. Im Jahr 1915 endete das von ihm vorgeschlagene Unternehmen eines Durchbruchs durch die Meerenge der Dardanellen auf der türkischen Halbinsel Gallipoli in einem Fiasko. 44.000 alliierte Soldaten wurden in der blutigen Schlacht verheizt. Und Churchill kostete die Schmach sein Amt.

Doch die Niederlagen seines politischen Lebens gelten als die Glanzpunkte seines künstlerischen Schaffens. Da entdeckte Churchill, der mit seiner Frau Clementine und fünf Kindern auf einem Landsitz in der Grafschaft Kent lebte, seine Leidenschaft für die Malerei, die er mit derselben Kühnheit betrieb wie die Politik. Erst kürzlich gingen in London mehr als ein Dutzend der rund 500 Ölgemälde, die der spätimpressionistische Künstler angefertigt hat, bei einer Versteigerung des Familiennachlasses für Hunderttausende Euro an neue Besitzer. Die Leidenschaft des Malens, bei der er, wie Kielinger ausführt, „die Leinwand wie einen Gegner“ behandelte, ungestüm und furchtlos, half ihm, nicht in Depressionen zu verfallen – ein Erbe seiner adligen Vorfahren, der Marlboroughs. Er ging außerdem zurück zum Militär, bevor ihn Hitlers Größenwahn als Retter auf die politische Bühne rief. Doch Churchill „war ein Mann für den Krieg, nicht für den Frieden“, 1945 wurde er abgewählt, sechs Jahre später kam er als Premierminister zurück – ohne nennenswerte innenpolitische Erfolge, aber als überzeugter Europäer. 90-jährig starb er.

Mit dem 50. Todestag am 24. Januar wurde im Vereinigten Königreich das Churchill-Jahr eingeläutet. Neben Dokumentationen, Ausstellungen und Feierstunden türmen sich in den Bücherschränken zahlreiche neue Biografien, etwa jene von Londons Bürgermeister Boris Johnson. Dabei ist die Literatur über sein Leben und Wirken bereits uferlos, nicht zuletzt weil Churchill selbst viel über Churchill geschrieben hat. Seine Bücher waren Bestseller, die Zeitungsbeiträge genossen Renommee. Dass er sein eigenes Handeln zu Papier brachte, wurde sein Markenzeichen. Immerhin hat kein zweiter Staatsmann nach ihm den Nobelpreis für Literatur erhalten – auch wenn er sich über diese Ehre äußerst enttäuscht zeigte. Er hatte für sich den Friedensnobelpreis vorgesehen.
Churchill habe nicht weniger als „unsere Zivilisation gerettet“, schreibt Johnson in seinem Buch „The Churchill Factor“. Der entscheidende Punkt sei, „dass nur er das tun konnte“.

Bis heute betrachtet die Bevölkerung Sir Winston Churchill als das Maß aller Dinge. Der Staatsmann mit all seiner Wucht hat den Briten die „finest hour“ beschert, ihre stolzeste Stunde, auch wenn teilweise mancher Rückblick leicht verklärt daherkommt. Vielleicht scheint in der politischen Tristesse dieser Tage, in denen der Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Mai anläuft, auch die Sehnsucht nach einer ikonenhaften Figur wie Churchill durch. „Im heutigen England fehlt jede Größe, außer im Entertainment“, findet Autor Thomas Kielinger. Oder sind es die Prüfungen unserer Zeit, die belangloser wirken?

Viele Briten erinnern sich noch an den 30. Januar 1965, als ein ganzes Land in Trauer verharrte. Sein Leichnam wurde auf einem Boot die Themse hinaufgefahren, am Rande verneigten sich die Lastenkräne der Londoner Docklands in Demut. Während sich der Zug mit seinem Sarg in Richtung Oxfordshire zur letzten Ruhestätte in der Nähe seines Geburtsortes bewegte, bemerkte der BBC-Korrespondent: „Jetzt ist die große Stimme still.“

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.