Botschafterin des Minirocks

Dame Mary Quant revolutionierte vor allem in den 60er Jahren die Mode und läutete ein neues Zeitalter des Feminismus ein. Am 13. April ist die Britin gestorben. Aus aktuellem Anlass mein aktualisiertes Stück von 2019.

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Es mag eine Enttäuschung sein, vielleicht auch als Überraschung kommen. Aber die Geschichte soll nicht mit dem Minirock beginnen – und ebenso wenig mit dem Stück Stoff enden. Denn es ging um so viel mehr in dieser Schau im Londoner Victoria & Albert Museum. Um Freiheit und Lust. Um Spaß, Hoffnung und Revolution. Und vor allem um Frauen, die sich emanzipierten und ein neues Selbstbewusstsein entdeckten. Mary Quant, wenn man so will, sorgte vor mehr als sechs Jahrzehnten für den Look dieses Gefühls, kleidete die Feministinnen ein. 2019 widmete sich deshalb eine Ausstellung im V&A dem Wirken der britischen Modedesignerin, die im hautengem schwarzen Pullover, kurzem Faltenrock und mit Bob-Haarschnitt und viel dunkler Wimperntusche zur Legende und zum Vorbild wurde. Nun ist Dame Mary Quant im Alter von 93 Jahren gestorben.

Sie prägte wie kaum eine andere den bis heute berühmten London-Stil, den sie in aufwändig dekorierten Schaufenstern präsentierte: Einfache Formen, schreiende Farben, weiße Plastikkrägen, kantige Schnitte, Lacklederstiefel mit hohem Schaft, knallbunte Strumpfhosen und natürlich der Star ihrer Kreationen, der Minirock. Dabei sei sie nicht die Erfinderin dieser modischen Provokation – die Ehre wird dem französischen Designer André Courrèges zuteil –, sondern vielmehr „Botschafterin des Minirocks“, sagte der ehemalige Direktor des V&A, Tristram Hunt, bei der Eröffnung der Ausstellung. Trotzdem war es ohne Zweifel Quant, die das Stück Stoff auf die Straßen brachte, populär machte und so eine gesellschaftliche Revolution auslöste. Aber die Retrospektive beschränkte sich eben nicht auf den Minirock, sondern beleuchtete mit Hilfe von mehr als 120 Outfits, Videos, Fotos und Accessoires die ersten 20 Jahre der Karriere der jungen Frau – ab 1955, als Quant im Londoner Szene-Stadtteil Chelsea auf der berühmten King’s Road ihre erste und legendäre Modeboutique „Bazaar“ eröffnete. „Wir wussten, dass wir selbst etwas tun mussten oder es würde überhaupt nichts passieren“, sagte die Britin vor vier Jahren über den Weg zu den farbenfrohen und spielerischen Kreationen, die in das Grau und die Spießigkeit dieser Zeit platzten wie ungebetene Partywütige in einen Privatclub der englischen Oberklasse.

Es war Mitte der 50er Jahre, als sich das Königreich gerade erst von der kargen Nachkriegszeit mit den rationierten Lebensmitteln und Klamotten erholte und immer mehr junge Menschen gegen die prüde Garderobe und altbackene Gesinnung rebellierten, die den Frauen sowohl die Beine als auch ihre Freiheit einschränkten. „Mode war damals nicht für die Jungen gemacht“, sagte Mary Quant später. Zu teuer, zu ungeeignet für den Alltag, schlicht „unmöglich“. Sie dagegen wollte Kleider schaffen, in denen man tanzen, herumspringen und dem Bus hinterherrennen konnte – „die Spaß machen“, wie die Designerin betonte. Also ließ die zierliche Frau mit der charakteristischen Helmfrisur den Rocksaum so weit über die kritische Knielänge wandern, dass Mütter rot und Väter wütend wurden – und nannte die erste Kollektion nach ihrem Lieblingsauto, dem Mini.

Sie interpretierte die Stimmung der damaligen Zeit und wandelte die Sehnsüchte der freiheitsfordernden Jugend in Mode um. Der Look passte perfekt zu den „Swinging Sixties“ in Englands Hauptstadt. Quant selbst wurde die ultimative Mode-Ikone dieses neuen Londons, nicht nur weil sie eine Frau, sondern weil sie kurzum die erste Frau der Bewegung war. Der Minirock als Symbol des Triumphs der Jugend, der Freiheit, der Lust und Freude über den Mief des Establishments. Moralische Oberlehrer und die konservative Gesellschaft kämpften schockiert gegen den „obszönen Fummel“ und verschrien ihn als Zeichen des von Sex geprägten Zeitgeistes. Doch die Mädchen lachten nur. „Und hörten nicht auf, noch kürzere Saumlängen zu fordern“, erinnerte sich Quant einmal. „Sie inspirierte sich an der Atmosphäre des Wandels und schuf Kleidung, die zum neuen Leben der Frauen passte“, meinte Design-Expertin Jenny Lister.

Unterstützt wurde die Lehrertochter von Beginn an von ihrem bereits im Jahr 1990 verstorbenen Ehemann, dem wohlhabenden Alexander Plunkett-Greene, den sie an der Künstler-Schmiede Goldsmith College in London kennengelernt hatte. Durch Massenproduktion exportierte sie die bezahlbaren Kleider in die ganze Welt und etablierte sich als Marke. 1969 stellte sie ihre Linie ein und vertrieb stattdessen unter ihrem Namen Kosmetik, Wäsche und Accessoires. Die damalige Königin Elizabeth II. hatte bereits 1966 ihre Verdienste um die Mode gewürdigt und Quant einen Orden verliehen. Natürlich erschien die britische Modeschöpferin im Minirock im Buckingham Palast.

Doch wer bitte hätte in der damaligen Ausstellung auch Hosen erwartet? Sie seien ein großer Teil der Geschichte, hieß es vom V&A. „Quant gehört zu den ersten Designern, die Hosen als sexy elegante Frauenmode bewarben.“ Dennoch waren es vor allem die gezeigten Kleider und Accessoires, die Besucher der Schau in die Swinging Sixties zurückbeförderten. Fast hörte man die Beatles und die Rolling Stones rocken, sah die Mädchen in ihren bunten, kurzen Röcken voller Lebensfreude durch London hüpfen, spürte den Aufbruch in der Stadt. „Mode kann sozialen Wandel reflektieren – und sie kann ihn antreiben.“ Mary Quants Kleider schafften beides.

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