Zukunft im Kinderzimmer

Mietmarkt

Zahlreiche Londoner können es sich nicht mehr leisten, eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen. Selbst die eigenen vier Wände zu mieten, wird aufgrund der steigenden Preise in Englands Hauptstadt zunehmend schwieriger. Viele Menschen leben deshalb in WGs oder ziehen zurück zu ihren Eltern.

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Debby Marwick hat sich das anders vorgestellt. Mit 18 Jahren zog sie aus ihrem Elternhaus in Cambridge aus. Sie studierte Sozialanthropologie in Brighton, verbrachte ein Auslandssemester in Toulouse und während sie in Studentenbuden lebte, träumte sie davon, einmal in ihrem eigenen Heim zu wohnen. Spätestens mit 30 sollte es so weit sein.
Heute ist sie 31 Jahre alt, arbeitet für eine Nichtregierungsorganisation in London und der Wunsch, eine Wohnung zu besitzen, ist in weite Ferne gerückt. Bislang reicht ihr Gehalt von umgerechnet rund 25.000 Euro nicht einmal aus, um sich ihre eigenen vier Wände zu mieten. Sie wohnt mit vier anderen Briten im weniger schicken Stadtteil Brixton zusammen. „Ich würde am liebsten alleine leben und auch mal Freunde zum Abendessen oder fürs Wochenende einladen, aber es ist einfach nicht möglich“, sagt Debby Marwick, die umgerechnet etwa 630 Euro für ihr kleines, „nicht voll saniertes“ Dachzimmer bezahlt – ohne Nebenkosten und Gemeindesteuer, die in Großbritannien für Mieter fällig wird. Die junge Frau ist frustriert. „Das Wohnproblem begrenzt meine Unabhängigkeit. Ich kann mich nirgendwo wirklich niederlassen und einrichten.“

Eine eigene Wohnung können sich in Englands Hauptstadt mittlerweile nur noch Gutverdiener leisten. Im Schnitt zahlen Londoner umgerechnet etwa 1800 Euro monatlich für ihre Unterkunft. Junge Leute werden von WG zu WG geschubst. Oder ziehen gleich wieder bei Mama und Papa ein.

Traditionell kaufen Briten lieber ihre Immobilien, verschulden sich und bezahlen einen Kredit ab – ganz nach dem Motto „My home is my castle“. Mieten kam für die Menschen auf der Insel lange nicht infrage. Doch viele haben keine Chance auf dem überhitzten Häusermarkt in der Stadt an der Themse, wo zahlreiche Investoren aus dem Ausland ihre Millionen parken.
Um 18,2 Prozent verteuerten sich die Hauspreise in London im März 2014 im Vergleich zum Vorjahr. Während das Durchschnittsgehalt in der Metropole bei etwa 43.000 Euro pro Jahr liegt, kostet laut dem Forschungsinstitut Oxford Economics eine Immobilie in London im Schnitt umgerechnet rund 540.000 Euro – Tendenz steigend. Wer nicht zu den glücklichen Eigentumsbesitzern gehört, leidet unter der Entwicklung – wie Debby Marwick. Das Haus, in dem sie wohnt, soll verkauft werden. Aktueller Wert: 1,6 Millionen Pfund, knapp zwei Millionen Euro. Vor 18 Jahren hat es der Eigentümer für umgerechnet 180.000 Euro gekauft. „Ich habe keine Ahnung, wie ich in der Gegend so ‚billig‘ wieder ein Zimmer finden soll“, klagt sie. Doch in einen Vorort Londons zu ziehen, stellt keine Option dar. Dann fallen horrende Pendlerkosten an. Und in einer anderen britischen Stadt findet sie in dem Bereich, in dem sie arbeitet, keinen Job.

Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und des britischen Wohlfahrtsverbands Shelter prognostiziert, dass im Jahr 2040 mehr als die Hälfte der 20- bis 34-jährigen Briten noch bei ihren Eltern wohnen werden, weil sie es sich nicht leisten können, zu mieten oder kaufen. „Unser chronischer Mangel an bezahlbarem Wohnraum bedeutet, dass eine ganze Generation einer Zukunft im Kinderzimmer entgegensieht“, sagt Campbell Robb von Shelter.
Deshalb hat die Politik Programme wie „Help to Buy“ ins Leben gerufen. Damit wird der Hauskauf vom Staat gefördert, was vor allem jungen Menschen helfen soll. Doch viele Experten bezeichnen diese Lösungen als Teppichflickerei. Zudem tragen sie zu einer Überhitzung des Marktes bei, warnen sie. „Es ist gewiss gerechtfertigt, von einer Hauspreisblase in London zu sprechen“, sagt Howard Archer, Chefökonom für Großbritannien vom Informationsunternehmen IHS.
Außerdem treibe laut Archer das begrenzte Angebot die Preise zusätzlich nach oben. Es wird schlicht zu wenig gebaut, vor allem in London. In den vergangenen zwölf Monaten wurde lediglich mit dem Bau von knapp 18.000 Wohneinheiten angefangen. Es ist wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein: Gebraucht werden rund 50.000.

„Ich dachte immer, ein Uniabschluss sei der Schlüssel zu einem besseren Leben, Job und einer besseren Wohnung“, sagt die 31-jährige Debby Marwick. Sie schlüpft in ihre Wolljacke und versteckt ihre roten Haare unter einem Schal. Dann mischt sie sich wieder unter die tausenden Londoner, die verzweifelt auf der Suche nach einer bezahlbaren Bleibe sind.

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