Der Wikileaks-Gründer Julian Assange sitzt seit zwei Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. In Schweden wird gegen ihn ermittelt, Assange bezeichnet die Anschuldigungen als erfunden, um ihm und Wikileaks zu schaden. Derweil
arbeitet er ohne Sonnenlicht und frische Luft weiter an der Enthüllungsplattform.
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Julian Assange lebt in zwei unterschiedlichen Welten. Die eine ist so groß wie das Internet nur sein kann, unerschöpflich und schrankenlos. Die andere besteht aus einem Zimmer mit einem Kamin, vollgestellt mit Möbeln und ausgestattet mit einer Lampe, die das Sonnenlicht imitiert. Es hat historischen Charme, doch die hell gestrichenen Wände des Apartments im ersten Stock müssen wie dicke Mauern für den 42-Jährigen wirken, es gibt weder einen Balkon noch einen Garten. Der Wikileaks-Gründer Julian Assange sitzt mittlerweile seit zwei Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London fest. Und für den gebürtigen Australier ist es lediglich der Zugang zu Büchern und Internet, der das rot geziegelte viktorianische Gebäude von einem grauen Gefängnisbunker unterscheidet. Es steht im schicken Stadtteil Knightbridge, direkt neben dem Nobelkaufhaus Harrods, wo betuchte Touristen mehr an Designerschuhe als an Kriegsgräuel denken. Für deren Veröffentlichung wurde Assange weltweit bekannt.
Er und Mitarbeiter haben mit Hilfe hunderttausender Dokumente auf der Internetplattform Wikileaks unter anderem Folterungen in irakischen Gefängnissen und die hohe Opferzahlen belegt, andere geheime Militärpapiere beschäftigten sich mit der Lage in Afghanistan und im US-Gefangenenlager Guantanamo. Spätestens ab diesem Zeitpunkt sahen ihn die USA als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit, er wurde als „Verräter“ und „High-Tech-Terrorist“ bezeichnet, man müsse Assange wie „einen Führer der al-Qaida oder der Taliban“ behandeln, polterte die Republikanerin Sarah Palin. Einige Politiker und Journalisten forderten seine Hinrichtung.
Von seinen Fans und vielen Medien wurde er als ein von Geheimdiensten und Regierungen verfolgter Held gefeiert – wie bei einem Popstar schwirrte stets ein Schwarm Fotografen und Reporter um ihn herum. Dann folgte sein persönlicher Absturz. Zwei Schwedinnen warfen ihm sexuelle Belästigung vor. Assange kämpfte von der englischen Hauptstadt aus monatelang gegen seine Auslieferung an Schweden, wo er angehört werden soll. Er bekam unter Auflagen Hausarrest und verbrachte 13 Monate auf dem Landgut der Familie des Journalisten Vaughan Smith, wo er weiter bis zur höchsten Instanz klagte. Doch er verlor. Seine letzte Chance, Asyl zu bekommen, war in der ecuadorianischen Botschaft. Dort arbeitet er nun seit dem 19. Juni 2012 weiter an Wikileaks. Sein Freund Vaughan Smith, ein bekannter Krisenberichterstatter, besucht ihn noch immer regelmäßig, manchmal bringt er sogar seine Kinder mit, die Assange noch gut kennen. Erst vor sechs Wochen war er da und wie meistens redeten sie über die Arbeit. „Er geht die Sache sehr taff und robust an, doch auch wenn man ihm die Belastung nicht anmerkt, kann man sehen, dass er gerne ein bisschen frische Luft hätte“, sagt Smith, der damals einen Teil der Kaution bezahlt hat.
Manchmal kommen neben seiner Familie und Freunden auch Prominente oder Politiker bei Julian Assange vorbei, doch immer seltener steht er am Fenster und winkt wie ein König zu seinen Anhängern. „Er ist nicht mehr oft in der Öffentlichkeit, teilweise auch, weil sich die westliche Presse von ihm abgewendet hat“, sagte mir Smith. Anders sei die Unterstützung in Afrika, Asien und in Südamerika. Westliche Gesellschaften seien „unglaublich hart“ zu ihren Whistleblowern. „Es ist eine Schande“, so Smith.
Mit seiner Flucht in die Botschaft entzog sich Assange dem Haftbefehl, der zur Auslieferung nach Schweden führen soll. Seit zwei Jahren stehen deshalb Tag und Nacht bis zu sechs Polizisten vor dem Gebäude, um den Mann mit den weißblonden Haaren sofort festzunehmen, sollte er britischen Boden betreten. „Es ist sehr langweilig“, bestätigt ein Polizist, der an diesem Abend gleich mit seiner Zwölf-Stundenschicht fertig ist. Ist er überhaupt noch hier? Oder liegt er bereits am Strand in der Karibik? Die Beamten versuchen sich mit Scherzen die Zeit zu vertreiben. Umgerechnet mehr als acht Millionen Euro sollen die Sicherungsmaßnahmen der Polizei bislang verschlungen haben. Doch dass Assange in naher Zukunft die ecuadorianische Botschaft verlässt, scheint ausgeschlossen. „Er ist der festen Überzeugung, dass die Anschuldigungen politisch motiviert sind“, berichtet Smith. Assange sei sicher, dass er, sobald er nach Schweden reist, nach kürzester Zeit in Amerika landen würde, wo der Zorn auf seine Wikileaks-Enthüllungen noch immer groß ist und wo ihm laut seinen Anwälten eventuell Folter oder gar die Todesstrafe drohen könnten.
Deshalb arbeitet er wie ein Besessener weiter an Wikileaks. „Die Geschichte wird gut zu ihm sein“, zeigt sich Vaughan Smith optimistisch. Er habe den Weg geebnet und unser Verständnis für Informanten erzeugt. Auch wenn Wikileaks heute mehr wie eine Guerilla-Organisation wirkt, zukünftige Whistleblower haben aus den Fehlern Assanges gelernt – wie Edward Snowden, der derzeitige Superstar unter den Informanten. „Man sieht ihn nicht oft in der Presse“, sagt Smith. „Wenn man in Großbritannien zu präsent in der Presse ist, wendet sie sich irgendwann gegen einen.“ Snowden habe vom Wissen von Wikileaks profitiert. Laut Smith glaubt Assange, Snowden sei frei wegen der Enthüllungsplattform.
Viele frühere Weggefährten haben Julian Assange mittlerweile den Rücken gekehrt, weil sie seinen Umgang mit den Vorwürfen aus Schweden nicht gutheißen. Assange gilt als sehr intelligente, aber auch schwierige Person. „Es herrscht ein Ungleichgewicht zwischen dem, was wir von Menschen erwarten, die anders als die Norm und mutig genug sind, um gegen die Mächtigen aufzustehen und zu kämpfen“, sagt Vaughan Smigh. Die meisten erwarteten automatisch liebe Menschen mit einer weißen Weste. „Doch ich denke, man kann so etwas nicht tun, ohne ein ziemlich schwieriger Mensch mit einem starken Charakter zu sein.“