Drängeln bitte!

Supermarkt1 Wer arglos in einer Schlange steht, hat verloren. Im Moment des gemeinschaftlichen Wartens muss man seine Zurückhaltung ablegen, alles andere wird bestraft. Brav anstellen? Bloß nicht.

Ich hatte diese Nahost-Regel kurz vergessen und brauchte deshalb deutlich länger beim Check-Out am Flughafen in Tel Aviv sowie am Busticketschalter. Und im Supermarkt am Morgen.
Ich werde, und dabei will ich nur eine Banane und ein Wasser kaufen, von einer Frau, kaum älter als 40, weggeschubst. Ein Mann stellt sich ohne rot zu werden einfach vor mich, eine ältere Dame drängelt mich mit ihrem ganzen Körpergewicht weg. Nach zehn Minuten stehe ich an derselben Stelle wie zu Beginn. Erst als ich langsam nach vorne tipple, um jeglichen Abstand zu meinem Vordermann aufzuheben, schaffe ich es, meine Banane bedeutungsvoll aufs Kassenlaufband zu legen. Die Frau hinter mir schiebt sie zur Seite. Ich schiebe sie zurück.

Was ist nur im Nahen Osten los? Israel unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von Syrien oder vom Libanon: Rüstige und weniger rüstige Rentner, Mütter mit ihren Kindern, Teenager – sie alle ziehen schamlos an den Geduldigen vorbei. Drängeln gehört zum guten Ton. Fürs Warten, gar in einer Schlange, hat hier niemand etwas übrig.

Ein ausgeklügeltes System steckt dahinter: Dieser winzige Schritt, den man aus Reflex nach hinten geht, wenn einem jemand zu nahe kommt, ist der entscheidende Schritt. In diese Lücke drängen sich die Vordrängler. Der Nahe Osten ist voll mit Vordränglern. Es bleibt nur mitzudrängeln.

Fürs Abendessen muss ich noch einmal in einen Supermarkt. Ich stelle mich selbstbewusst gleich an den Anfang der Schlange. Wie selbstverständlich. Niemand ärgert sich. Vielmehr anerkennende und bestätigende Blicke. Ich zahle und fühle mich ein Stück weit angekommen in Israel.

2 Kommentare

  1. Köstlich..deine Geschichte. Hat mir heute schon ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.
    Manchmal muss man eben auch drängeln um vorwärts zu kommen..klappt bei dir ja ganz gut. 🙂

  2. Man stelle sich das mal bis zum Ende vor! Der Deutsche, dem Abstand angenehm ist, rückt immer ein Stück weiter zurück, wenn sich einer vor ihn drängelt. Irgendwann fällt er hinten aus dem Supermarkt. Ist übrigens das gleiche Phänomen wie auf (deutschen) Autobahnen, habe ich am eigenen Leib erfahren. Wer immer, wenn sich einer in die Lücke drängelt, bremst, um den vorgeschriebenen Abstand einzuhalten, steht irgendwann. 🙂

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