Die Frauen im Gazastreifen leiden besonders unter der wirtschaftlichen Malaise, der Besatzung und der Hamas. Doch die Palästinenserinnen suchen und finden Wege, sich Gehör zu verschaffen. Eine Geschichte von meinem Besuch in Gaza Ende vergangenen Jahres.
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Nichts deutet auf ein Gefängnis hin. Ibtisam Al Za’anin wirbelt durch ihren Garten, sie lacht, ihr langer roter Mantel streift den staubigen Boden. Die 52-Jährige hat sich ihr Paradies geschaffen. Es riecht nach frischen Orangen und Zitronen, wild wuchern Bäume und Sträucher. Morgens sitzen die Palästinenserin und ihr Mann auf der alten, knarzenden Hollywoodschaukel und reden bei einem Kaffe über den bevorstehenden Tag. Manchmal träumen sie von fernen Reisen nach Amerika oder Deutschland. Wie ein ganz normales Ehepaar. Doch normal ist das Leben nur in ihrem Garten, denn für Träume ist kaum Platz an diesem Ort. Die beiden Palästinenser leben im Gazastreifen, einem abgeriegelten Küstengebiet, das nur 45 Kilometer lang, aber völlig überbevölkert ist.
Eigentlich wollte Ibtisam Al Za’anin immer Politikerin werden. Dabei sein, wenn Entscheidungen getroffen werden. Mitmachen. „Ich träumte davon, mehr für palästinensische Frauen zu tun“, sagt sie. 2005 hat sie es geschafft, sie wird bei der Kommunalwahl der Gemeinde Beit Hanoun, nur wenige Kilometer von Gaza Stadt entfernt, gewählt. Immer wieder erzählt sie mit stolzer Stimme von dem Tag ihres Triumphs. Beim Gedanken an die Zeit danach verzieht sie die Lippen. Denn nicht einmal zwei Jahre nach der Wahl hat sie genug. Sie gibt auf. Eine Frau als Politikerin, die für die Rechte anderer Frauen kämpft? Einige Islamisten machten ihr das Leben schwer, indem sie sie ständig anriefen und sie bedrohten. „Die Hamas hat ihre eigenen Regeln“, erklärt die 52-Jährige die Schikane. „Viele Dinge sind Frauen nicht erlaubt.“ Die Partei wollte Ibtisam Al Za’anin mundtot machen. Einmal lag sie drei Tage lang im Krankenhaus, weil sie nach einer von ihr organisierten Kundgebung für die Rechte von Frauen von Hamas-Mitgliedern mit einem Stock zusammengeschlagen wurde. „Heutzutage ist die Hamas sehr aggressiv und kein Gesetz schützt einen“, so die Aktivistin. Es schien, als hätte die vom Westen als Terrororganisation eingestufte Hamas gewonnen.
Seit 2007 regiert in diesem Teil der palästinensischen Autonomiegebiete die radikalislamische Hamas. Es regiert auch Resignation und Wut. Denn die wirtschaftliche Lage ist mehr als schlecht. Rund 60 Prozent der 1,7 Millionen Einwohner haben keine Arbeit. Die Lebensmittel werden zunehmend teurer genauso wie Baumaterial und Mieten. Die Gaza-Bewohner haben lediglich sechs Stunden Strom bevor er wieder für zwölf Stunden ausfällt. Pferde und Esel ziehen einfache Karren durch die Straßen, auf denen die Menschen Tomatenkisten, Baudraht und Wasser transportieren. Neben den dahin trottenden Tieren fahren verbeulte und rostige Autos, die in anderen Ländern ausrangiert wurden. Vor den Tankstellen bilden sich lange Schlangen. Das Benzin ist knapp. Wer an der Reihe ist, muss mehr als gewöhnlich bezahlen, denn der Sprit, der verkauft wird, kommt aus dem teuren Israel.
Früher noch lieferte das Nachbarland Ägypten billigen Nachschub. Doch fast alle Tunnel nach Gaza sind zu. Die Grenze ist dicht, seit in Ägypten das Militär wieder die Macht übernommen hat und die Beziehungen nahezu abgebrochen sind. Während die islamistischen Muslimbrüder enge Bande mit der Hamas hatten, ist heute nichts mehr vom Nachbarn zu erwarten. Zudem riegelt Israel die Enklave seit dem Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 mit Hilfe einer gigantischen Sperranlage beinahe vollständig ab. Nachdem der damalige Ministerpräsident Ariel Scharon im Jahr 2005 das Militär aus dem Küstenstreifen abzog und alle israelischen Siedlungen schloss, wird das Gebiet nur noch indirekt von dem jüdischen Staat kontrolliert. Dass die Grenzen, die immer wieder zu Engpässen in der Versorgung und einer Abschnürung des Wirtschaftslebens in Gaza führen, in naher Zukunft durchlässiger werden könnten, ist unwahrscheinlich. Zu oft greifen Hamas-Kämpfer mittels Bombenattacken israelische Städte an als dass die Besatzungsmacht etwas an seiner Abschottungspolitik ändern würde. Erst vor wenigen Tagen haben militante Palästinenser im Gaza-Streifen mehrere Raketen auf Israel abgeschossen, die jedoch von der Raketenabwehr abgefangen werden konnten. Daraufhin hat die israelische Luftwaffe vier Ziele im Gaza-Streifen getroffen. Fünf Menschen wurden leicht verletzt. Israel will mit solchen Vergeltungsschlägen Ordnung schaffen seit die Hamas 2007 gewaltsam die Macht übernommen hat.
Beide Seiten leiden. In den staubigen Straßen von Städten wie Beit Hanoun schlagen immer wieder Granaten ein, die Menschen töten und Häuser zerstören. Obwohl sie es gewohnt sind, leben die Menschen unter ständiger Angst vor den Angriffen der Israelis. Sie sind die Bomben und Repressalien leid, aber was können sie schon tun? Es ist kaum möglich, das Gebiet zu verlassen, auch wenn sie den Wohlstand auf der anderen Seite des Zauns fast spüren können. Und ein Mitglied des lokalen korrupten Polit-Apparats werden?
Für Ibtisam Al Za’anin stand diese Option nie zur Debatte. Zu frauenfeindlich bezeichnet sie die Hamas-Kämpfer, die sich selbst als Krieger Gottes verstehen. Die mutige Frau hat einen anderen Weg gefunden, für die Rechte von palästinensischen Frauen zu kämpfen. Sie kommt mehrmals pro Woche in das Familienzentrum Beit Hanoun. Es ist eins von drei Zentren, das von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördert wird. 120 000 Euro gab die GIZ im vergangenen Jahr. Dafür lernen die Frauen in mehrwöchigen Kursen, wie sie Geldbeutel und Taschen, Halsketten und Armbänder herstellen können. Oder sie werden zu Friseurinnen und Kosmetikerinnen ausgebildet. Doch nicht nur das: „Die Organisation ist den Frauen eine wichtige psychische Stütze und gibt ihnen Rückhalt in der Familie“, sagt Wael Safi von der GIZ in Gaza.
Eine der Lehrlinge ist Zenib. Sie sitzt im Erdgeschoss im Kreis von rund 20 anderen Mädchen und fädelt Perlen auf. Erst neun silberne Perlen, dann eine blaue mit dem Buchstaben „M“, eine Perle mit dem rosafarbenen Buchstanden „a“. Geduldig lässt sie den Namen „Malik“ entstehen. „Vielleicht will ja ein Mann, der so heißt, das Armband kaufen“, sagt Zenib. Sie ist 26 Jahre alt und für sie ist das Familienzentrum so etwas wie Zufluchtsort und Lebensschule in einem. Hier ist es ihr möglich, sich frei unter anderen Frauen und Kindern zu bewegen.
Zenib rückt sich ihr kariertes Kopftuch zurecht, sie spricht stockend und leise, als ob sie Angst vor ihrer eigenen Stimme hat. „Zuhause fühle ich mich wie ein Niemand“, flüstert sie. „Aber ich will jemand sein.“ Im Familienzentrum kann sie so etwas sagen. Aber unter Männern? In der Öffentlichkeit? Frauen wie Zenib finden in der palästinensischen Gesellschaft im Gazastreifen kaum Gehör. Ibtisam Al Za´anin tätschelt ihre Hand und nickt ihr ermutigend zu. „Die Hamas will, dass alle Frauen ihren Mund halten und gehorchen“, sagt die Palästinenserin, die in Gaza für viele Mädchen wie Zenib ein Vorbild ist. Ihr Wunsch ist es, dass die jungen Frauen durch die Arbeit im Familienzentrum Selbstbewusstsein entwickeln, um sich einen Wert in der patriarchalischen Gesellschaft zu erkämpfen.
Im Obergeschoss lernen Kinder und ihre Mütter Dabka, den palästinensischen Folkloretanz. In Reihen fassen sie sich an den Schultern und stampfen mit den Füßen auf den Boden. Die Szene hat etwas von trotziger Fröhlichkeit. Eigentlich ist diese Tradition den Frauen in dem Teil der Autonomiegebiete verboten, weil die Hamas unterbinden will, dass sich Mädchen und Jungen während des Tanzens an den Händen halten.
Als in Ländern wie Ägypten junge Menschen auf die Straße gingen, um gegen die Unterdrückung ihrer Regimes zu protestieren, saßen viele junge Menschen in Gaza vor dem Fernseher und drückten den Demonstranten die Daumen. Ein bisschen waren sie sogar neidisch auf ihre ägyptischen Nachbarn, die es damals geschafft haben, ihren Machthaber zu stürzen. Doch selbst auf die Straße gehen? „Der Gazastreifen ist zu klein für einen großen Aufstand“, sagt eine junge Frau, die mehrmals pro Woche das Familienzentrum in Beit Hanoun besucht. Mit den negativen Vorbildern aus Syrien und Ägypten vor Augen wendet sich der Großteil der palästinensischen Jugend heutzutage mehr und mehr von der Politik ab und kümmert sich lieber darum, eine Familie zu gründen und Geld zu verdienen. Was nutze der Widerstand schon, ist von vielen zu hören. Obwohl die Palästinenser unzufrieden sind, haben sie angesichts von Stacheldraht und Panzern resigniert. Ihre Wut auf Israel und die politische Spaltung von Hamas und Fatah köchelt nur noch leise vor sich hin.
Außerdem haben vor allem die jungen Menschen genug mit ihrem eigenen Leben zu kämpfen. Weil viele der Männer aufgrund der wirtschaftlichen Malaise im Gazastreifen arbeitslos sind, sollen nun auch die Frauen ran. Weniger aus Gründen der Emanzipation als aus der finanziellen Notwendigkeit heraus dürfen sie eine Ausbildung machen und arbeiten – zusätzlich zur Kindererziehung und den Arbeiten im Haushalt, die durch die äußeren Umstände immer mehr Zeit beanspruchen. „Wer muss trotzdem die Kleider waschen und Essen kochen, obwohl es keinen Strom gibt?“, fragt eine der Leiterinnen des Familienzentrums. Sie zeigt auf die Frauen, die emsig an ihren Schmuckstücken arbeiten, um diese später auf den Straßen zu verkaufen. Hinzu komme, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die Perspektivlosigkeit auf die Stimmung der Brüder, Väter und Ehemänner schlage. Und damit aufs Familienleben. „Die Situation für Frauen ist mehr als schlecht. Wir sind immerzu die Opfer“, sagt die Frauenrechtlerin. „Alle können verrückt spielen, nur wir nicht“, stimmt ihr die ehemalige Politikerin Ibtisam Al Za’anin zu.
Zenib rutscht auf ihrem Stuhl herum und schaut ungeduldig zur Tür. Sie muss jetzt wirklich nach Hause. Die Uhr in einer Ecke des Büros zeigt an: Es ist zehn Minuten nach 14 Uhr. Zu spät. Ihr Vater, das weiß die 26-Jährige, wird wütend sein und Fragen stellen – wie schon ihr ganzes Leben. Doch Zenib hat endlich gelernt zu antworten.
Fotos: Thomas Imo, photothek.net, für die GIZ