Popstars in der Küche

Ottolenghi

Der Israeli Yotam Ottolenghi und der Palästinenser Sami Tamimi haben mit ihrem Kochbuch „Jerusalem“ nicht nur in Deutschland einen Bestseller gelandet. Sie verbindet sowohl die gemeinsame Heimat als auch die Leidenschaft für mutige kulinarische Kombinationen. 

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Der erste Blick fällt auf Berge von frischem Essen. Die Präsentation erinnert unweigerlich an Märkte in Jerusalem oder Marrakesch, wo aufwändig aufgetürmtes Obst und Gemüse die Kunden zum Essen und Staunen verleiten. Sie erinnert an die engen Gassen von Tel Aviv, Ramallah oder Beirut, wo sich die Menschen aneinander vorbeidrängeln, die Verkäufer ihre Preise herausbrüllen und die farbenfrohen Produkte kunstvoll drapiert und aufpoliert sind.

Dieser erste Blick gilt jedoch nicht einem fernöstlichen Souq in Israel oder im Libanon, sondern einem der vier Londoner Lokale des Israelis Yotam Ottolenghi im Londoner Stadtteil Islington. In großen Schüsseln erstreckt sich ein Farbenmeer vor dem ansonsten zurückhaltenden Weiß des Delis. Leuchtender Brokkoli, verfeinert mit tiefroten Chillischoten und Knoblauch, kandierte Rote Bete, Linsen und Kichererbsen, angerichtet mit Pistazien und angebratenen Zwiebeln. Auf Etageren sind Baisers, Kuchen und Süßigkeiten so arrangiert, dass Erwachsene Kinderaugen bekommen.

Der Israeli Yotam Ottolenghi ist mittlerweile so etwas wie der Popstar unter den Köchen und das nicht mehr nur in Großbritannien, sondern in ganz Europa. In London locken vor allem seine Restaurants, die er mit drei Partnern führt, die schicke gehobene Mittelschicht an. Die eingeschworenen Fans schwärmen, stets versehen mit einem wohlklingenden Stöhnen, von seiner Küche als „gesund, frisch, anders“. In Ländern wie Deutschland wird Ottolenghi für seine Kochbücher gefeiert. Diese haben sich für die wachsende, meist junge Anhängerschaft zur ultimativen Küchenbibel entwickelt. „Die Menschen kannten diese Art von Essen hier in Europa nicht“, startet Yotam Ottolenghi einen Erklärungsversuch für seinen Erfolg. „Und plötzlich hat sich eine neue Welt für sie eröffnet mit einer Reihe von Zutaten, die ihnen unbekannt waren.“ Kardamom, Koriander, Zatar, der Geschmack des östlichen Mittelmeerraums hat an Ansehen und Anerkennung gewonnen.

Durch seine tiefe Stimme schimmert ein Lächeln. Wenn er von Kräutern wie Petersilie oder von sonnenverwöhnten Tomaten, Granatäpfeln oder duftenden Orangen spricht, klingt das stets wie eine Liebeserklärung. Doch es ist nicht nur die Leidenschaft zu frischen Produkten und kräftigen Aromen, die ihn zu jenem Küchenguru gemacht haben, der er jetzt für viele darstellt. Es ist vor allem die Andersartigkeit seiner Gerichte, die mutigen Kombinationen, der Mix aus Süße und Säure, die Mischung verschiedener Stile. „Ich mag es, beim Essen für kleine Überraschungen zu sorgen“, sagt er.

Ottolenghi empfängt in einem unscheinbaren, grauen Hinterhof nahe des Londoner Touristenpflasters Camden Town, wo werkstattähnliche Einheiten aneinandergereiht sind. An diesem wenig glamourösen Ort verbringt er die meiste Zeit. Im ersten Stock seiner Unit überrascht eine große Testküche, in der er sich mit seinem Team Rezepte ausdenkt, sie ausprobiert und Kochbücher entwirft. Inspirationen dafür holt sich der Bestsellerautor von seinen Mitarbeitern oder von Reisen durch Asien und Nordafrika, wo er sich auf den Straßen von Garküche zu Garküche probiert.

Gerade ist in der kulinarischen Kunstwerkstatt viel Arbeit angesagt, es werden die Fotos für die zweite Ausgabe seines vegetarischen Kochbuchs „Plenty“ geschossen. Zurückhaltend steht der schlanke Israeli in seinen lässigen Jeans da, das weiße Hemd lugt unter dem beigefarbenen Pulli hervor, sein Dreitagebart ist durchsetzt von grauen Stoppeln. „Ich empfinde Kochen als Handwerk“, sagt er, während er seinem Team beim Zubereiten der Speisen für das spätere Fotoshooting zuschaut. Eigentlich hat Ottolenghi, dessen Vater aus Italien und die Mutter aus Deutschland stammen, ja Philosophie und Literatur studiert. Er verbrachte sogar einmal mehrere Monate in Berlin, weshalb er „mehr Deutsch verstehen als sprechen kann“, wie er selbst sagt. Doch irgendwann hatte er genug von der geistigen Tätigkeit und konzentrierte sich auf die Arbeit mit den Händen, die er als entspannender empfindet. Obwohl, so ganz kann er es nicht lassen: Nun ist er wieder am Computer gelandet, schreibt Bücher, Einführungen, Rezepte und Kolumnen für den britischen „Guardian“.

In einer Ecke liegt ein Exemplar des aktuellen Bestsellers „Jerusalem“, das durch das mit Leinen bezogene Gewand in jedem Bücherregal auffällt. Aufgrund der goldfarbenen Ornamente aus arabischen und hebräischen Schriftzeichen auf dem Cover ahnt der Hobbykoch sofort, was im Innenteil folgen wird: Hummus, Falafel, Shakshuka, Latkes. Es sind traditionelle Gerichte – eine kulinarische Hommage an die Heimat von Yotam Ottolenghi und seinem Freund und Geschäftspartner Sami Tamimi: Jerusalem.

Ihre Geschichte liest sich wie für Marketingzwecke konstruiert. Sie klingt zu perfekt, um wahr zu sein, aber macht das besondere Geschichten nicht immer aus? Die beiden 45-Jährigen sind zur selben Zeit in der seit Jahrhunderten umkämpften Stadt aufgewachsen, doch sie tobten nicht zusammen auf Spielplätzen herum und hätten niemals die Chance gehabt, in der Schule als Nebensitzer voneinander abzuschreiben. Ottolenghi kommt aus dem israelischen Westteil, Tamimi aus dem palästinensischen Ostteil der Stadt. Durch den politischen Konflikt zwischen Arabern und Juden lebten sie in anderen Welten, die sich nur allzu häufig abstoßen wie Magnete mit denselben Polen.

Gemeinsamkeiten zwischen den drei Weltreligionen scheinen sich für Außenstehende nur in der Küche zu finden. Aber selbst da herrscht keineswegs Frieden, sogar die Gerichte sind politisch aufgeladen. Das mussten auch die beiden Köche erfahren, die sich vor mehr als 20 Jahren in einem Londoner Deli bei der Arbeit kennengelernt haben. „Hummus ist ein großer Streitpunkt. Sowohl die Juden als auch die Araber beanspruchen ihn für sich“, sagt Ottolenghi. „Den Menschen liegt sehr viel an ihrem Essen. Es gehört zu ihrem Erbe, deshalb sind sie auch so empfindlich.“ Aus diesem Grund beschlossen er und Tamimi, die Diskussion, wer denn nun als erstes die Falafel oder den Hummus auf dem Teller hatte, auszublenden. Allein schon, weil es den beiden Köchen, die sich noch immer auf Hebräisch unterhalten, schlichtweg egal ist. Sie sehen sich nicht als typische Repräsentanten ihrer verfeindeten Gesellschaften, sondern mehr als Beweis, dass Freundschaft zwischen Juden und Muslimen funktioniert.

Die Idee zu dem Buch kam ihnen, als sie ihren 40. Geburtstag feierten und in Erinnerungen an ihre alte Heimat schwelgten. „Wir wurden nostalgisch“, sagt Ottolenghi und lacht. Nach so langer Zeit in London machten sie sich auf zu einer kulinarischen Reise in ihre Kindheit, um herauszufinden, wo alles begann und um das Essen, mit dem sie aufwuchsen, neu zu entdecken. Als Teenager wollten beide aus dem historischen Jerusalem weg, das lieber zurück als nach vorne schaut. Als Homosexuelle zogen sie ins offenere, kosmopolitische Tel Aviv, dann nach Europa. Jetzt schätzen sie ihre Wurzeln, wenn auch beide sich nicht vorstellen können, jemals wieder nach Jerusalem zu ziehen. Ottolenghi lebt gerne mit seinem Partner und dem gemeinsamen Sohn in London. Tamimi ebenfalls.

In ihrer Heimat wäre ein gemeinsames Restaurant zudem undenkbar. Und auch wenn Ottolenghis Mutter ihrem Sohn regelmäßig stolz Fotos von Buchläden in Israel schickt, wo in Schaufenstern das Kochbuch ausliegt – ins Hebräische oder Arabische übersetzt wurde „Jerusalem“ nie.

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