Kniefreie Provokation

MQ

Mary Quant, die Erfinderin des Minirocks, wird 80 Jahre alt. Die Britin löste mit dem Stück Stoff eine gesellschaftliche Revolution aus.

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Wäre diese Erzählung ein Film, würden die jugendlichen Ausgaben von John Lennon und Mick Jagger dazu singen. Denn die Geschichte von Mary Quant klingt am Besten, wenn sie begleitet wird von der britischen Musik aus den 1960er Jahren. Langhaarige Männer bewegen sich im Takt, dazu wippen die Röcke der Mädchen. Die Beatles und die Rolling Stones stellten zu jener Zeit die Musikwelt auf den Kopf und schufen den Rahmen für Mary Quant, die keine Gitarren brauchte, um die Gesellschaft zu prägen, sondern lediglich ein Stück Stoff. Sie erfand den Minirock.

Die britische Designerin ist eine der wenigen Menschen, die mit ihrer Mode Spuren in der Geschichte hinterlassen hat. Sie hat dem Beinkleid eine Schrumpfkur verpasst und damit ein legendäres Kleidungsstück geschaffen. Heute, am 11. Februar, feiert sie ihren 80. Geburtstag.

Es war Mitte der 50er Jahre, als immer mehr junge Menschen gegen die prüde Garderobe und altbackene Gesinnung rebellierten, die den Frauen sowohl die Beine als auch ihre Freiheit einschränkten. Mary Quant, gerade einmal 21 Jahre alt, eröffnete im Londoner Szene-Stadtteil Chelsea auf der berühmten King’s Road ihre erste Modeboutique „Bazaar“. Die Lehrertochter wurde von ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann, dem wohlhabenden Alexander Plunkett-Greene unterstützt, den sie an der renommierten Künstler-Schmiede Goldsmith College in London kennengelernt hatte. „Mode war damals nicht für junge Menschen gemacht“, sagte sie später. Zu teuer, zu ungeeignet für den Alltag, schlicht „unmöglich“.

Sie wollte Kleider, in denen man dem Bus hinterherrennen und tanzen kann. Also ließ die zierliche Frau mit der charakteristischen Helmfrisur den Rocksaum weit übers Knie wandern und entwarf die erste Mini-Kollektion, benannt nach ihrem Lieblingsauto. Sie interpretierte die Stimmung der damaligen Zeit und wandelte die Sehnsüchte der freiheitsfordernden Jugend in Mode um. Millionen junger Frauen – und Männer – waren begeistert. Zusammen mit der Anti-Baby-Pille verkörperte der Minirock das Symbol eines neuen weiblichen Selbstbewusstseins. Das Stück Stoff passte perfekt zu den „Swinging Sixties“ in Englands Hauptstadt. 

Moralische Oberlehrer und die konservative Gesellschaft kämpften schockiert gegen den „obszönen Fummel“ und verschrien ihn als Zeichen des von Sex geprägten Zeitgeistes. Doch ihre Einwände gingen in den lauten Gitarrenklängen von Keith Richards unter. Mit der Zeit nahm die Länge der Röcke weiter ab und der Erfolg zu, bald exportierte Mary Quant sogar in die USA. Eine Teenagerin wurde gar von der Schule geworfen, weil sie mit ihrer Beinfreiheit die Lehrer provozierte. 25 Jahre später wurde das aufmüpfige Mädchen Chefredakteurin der US-Vogue. Ihr Name ist Anna Wintour.

Die Modeschöpferin Mary Quant prägte wie kaum eine andere den bis heute berühmten London-Look, den sie in aufwändig dekorierten Schaufenstern präsentierte: Einfache Formen, schreiende Farben, weiße Plastikkrägen, Lacklederstiefel mit hohem Schaft und natürlich der Star ihrer Ideen, der Minirock. „Eigentlich waren es die Mädchen der King’s Road, die ihn erschaffen haben“, erinnerte sich Quant später. „Sie hörten nicht auf, noch kürzere Saumlängen zu fordern.“

Doch weil die Britin nie einen Skandal provozieren wollte, wie sie selbst sagt, und sich Strapse mit einem Minirock nur schwer kombinieren lassen, kreierte Quant ein weiteres Modestück, das heute nicht mehr aus den Kaufhäusern wegzudenken ist, die Feinstrumpfhose. So mussten selbst die feinen Damen, die mittlerweile dem Hauch von Stoff verfallen waren, nicht zu viel nackte Haut zeigen. Kleidung solle „Spaß machen“, sagte die Designerin immer wieder.

Im Jahr 1966 würdigte sogar Queen Elizabeth II. ihre Verdienste um die Mode und verlieh Quant einen Orden. Natürlich erschien die britische Modeschöpferin im Minirock im Buckingham Palast. Doch später waren von Mary Quant auch häufig kritische Töne über ihre Erfindung zu hören, nachdem zunehmend auch Frauen mit kurzen und dickeren Beinen in knappen Röcken unterwegs waren. Schon 1969 stellte sie ihre Linie ein und vertrieb stattdessen unter ihrem Namen Kosmetik, Wäsche und Accessoires. 2000 stieg sie aus der Firma aus.

Heute lebt das einstige Stadtmädchen auf dem Land und arbeitet am liebsten in ihrem Garten. Ob sie noch Kontakt mit Mick Jagger hat? Der soll es mittlerweile lieben, anderen bei der Gartenarbeit zuzusehen. Die Zeiten, es sind andere.

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