Bahn mit Herz

thought of the day

Londons antiquierte U-Bahn ist ein Dauermeckerthema. Gerade streikt sie mal wieder und legt damit die ganze Stadt lahm. Doch an manchen Stationen buhlen die Mitarbeiter um etwas Liebe – mit dem „Gedanken des Tages“.

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Das Lieblingsnörgelthema der Londoner ist nach dem Wetter (siehe unten), aber deutlich vor den absurd hohen Mietpreisen die Londoner U-Bahn. Dieses antiquierte Monstrum, das täglich drei Millionen Passagiere von A nach B nach C und dann wieder nach A transportiert, liefert tausende Gründe zum Meckern. Entweder, weil die ratternde Bahn sich verspätet, sie erst überhaupt nicht kommt oder man mitsamt Bahn in einem der alten Tunnel steckenbleibt. Signalfehler, Terrorverdacht wegen einer vergessenen Tasche oder einfach nur Baustelle. Derzeit ist die „tube on strike“. Bis Donnerstagabend geht hier nichts. Die Stadt steht Kopf. Und still. Aber der Arbeitskampf, der die Wege noch weiter macht als sie sowieso schon sind, hat mich sofort an das Hasslied der Amateur Transplants erinnert. Seitdem bekomme ich es nicht mehr aus dem Kopf:

Auch wenn ich es erst seit wenigen Wochen in London bin, fand ich es erstaunlich, beim Warten auf die „tube“ zum ersten Mal die Durchsage aus den Lautsprechern zu hören: „Liebe Fahrgäste, die U-Bahn fährt auf allen Strecken ohne Störungen.“ Das soll eine Durchsage wert sein? Schon heute kann ich antworten: Unbedingt. Wenn wirklich alles funktioniert, muss das betont, gewürdigt und gefeiert werden.

Irgendwelche Gleise flicken die Briten nämlich immer. Oder sie tauschen Rolltreppen aus und dichten Tunnel ab. Provisorisch. Immerhin ist sie die älteste U-Bahn der Welt, bereits im Januar 1863 startete die Metropolitan Line. Damals sprach die Lokalpresse vom „train to hell“ wegen der Kloake und der Ratten, die unter der Stadt ihr Unwesen treiben. 151 Jahre später reden die Londoner eher von einem „train of hell“. Doch die Assoziation mit der Hölle hat ihre Richtigkeit offenbar nicht verloren. Was also würde helfen, damit die Londoner ihr wichtigstes Verkehrsmittel lieben lernen? Da gibt es wohl nur eins: Die Stadt für lange Zeit in Gänze lahmlegen, sozusagen einen London-Aus-Knopf drücken, um das Streckensystem komplett zu renovieren. Utopisch. Deshalb rücken die „Tube“-Flicker nachts an, um den Verkehrsgiganten am Laufen zu halten.

Doch an manchen Haltestellen wollen die Mitarbeiter die Abneigung ihrer Fahrgäste offenbar nicht akzeptieren. So buhlen beispielsweise an den Londoner Stationen „Clapham North“, „Angel“ und „Oval“ Bahnangestellte mit dem „Gedanken des Tages“ um die Liebe der U-Bahn-Benutzer. „Wenn wir warten bis wir bereit sind, warten wir für den Rest unseres Lebens“, stand vergangenen Samstag auf der weißen Tafel am Eingang von „Clapham North“. Jeden Morgen sucht ein Angestellter im Internet oder in einem Sprüchebüchlein nach einem neuen Satz. „Wir wollen den Menschen eine Freude machen“, sagte eine Mitarbeiterin zu mir, als ich sie nach dem Grund fragte. Bei mir funktioniert’s. Mir zaubert der Spruch jeden Tag ein Lächeln aufs Gesicht, auch wenn ich nach einem Höllenritt genervt die Bahn verlasse. Wie gestern: „Es ist ein wunderbarer Gedanke, dass einige der besten Tage unseres Lebens noch vor uns liegen.“ Stimmt. Aber liebe Bahnangestellte: Der heutige Tag wird es nicht sein. Heute wird erstmal über die „Tube“ gemeckert.

 

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