Nüchterner Wahltag

Westminster

Am 7. Mai wählen die Briten ein neues Parlament – traditionell unter der Woche an einem Donnerstag. Warum eigentlich?

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In Deutschland wird sonntags oder an einem öffentlichen Feiertag gewählt. Das ist logisch: Die meisten Leute haben frei und damit Zeit abzustimmen. In Großbritannien wird donnerstags gewählt. Warum? Schulterzucken. „Weil es Tradition ist“, tönt mir die Antwort aus den Behörden entgegen. Warum? „Es gibt keinen bestimmten Grund“, heißt es. Am 7. Mai steht die Parlamentswahl im Vereinigten Königreich an und sie verspricht, spannend zu werden. Das britische Wahlsystem unterscheidet sich maßgeblich von jenem in Deutschland: Auf der Insel gilt das Mehrheitswahlrecht, ganz nach dem Motto: „The winner takes it all“. Jeder Wähler stimmt in seinem Wahlkreis für einen Kandidaten und hat dafür bis 22 Uhr am Abend Zeit, immerhin müssen die meisten Menschen arbeiten. Der Politiker, der mehr Kreuzchen bekommen hat, zieht ins Parlament ein – die Stimmen für die unterlegenen Kandidaten gehen verloren. Und einer der offensichtlichsten Unterschiede zur Bundesrepublik: Der Wahltag fällt auf einen Donnerstag. Das kann für manchen Deutschen befremdlich klingen, kurz in der Mittagspause, vor oder nach der Arbeit in die zum Wahllokal umfunktionierte Gemeindehalle oder Kita zu hetzen, um das Kreuzchen zu setzen. Das Internet spuckt bei der ersten Schnellrecherche aus: Seit 1935 fand jede Unterhauswahl an einem Donnerstag statt. Ein Politikprofessor von der Universität Nottigham bestätigt mir das. Zudem fügt er an, dass die Abstimmung im 19. Jahrhundert in verschiedenen Teilen des Landes an unterschiedlichen Tagen abgehalten wurde.

Das ist schön, aber eine richtige Erklärung für das Hier und Jetzt hat er auch nicht. Mutmaßungen dagegen gibt es zuhauf. Zum Beispiel, dass der Grund im calvinistischen Erbe des Landes liegt. Da man sich früher an Feiertagen – und das waren Sonntage – nicht politisch betätigen sollte, fiel jene Termin-Möglichkeit aus. Der Brauch, so könnte es ein, überlebte die Calvinisten. Ein anderer Vorschlag: Dem Premierminister wird mit der Abstimmung an einem Donnerstag ausreichend Zeit gegeben, um über das Wochenende ein Kabinett zu bilden. So würde gewährleistet, dass die neue Regierung am Montag bereit zur Amtsübernahme ist. Diese Möglichkeit finden die meisten Briten zugegebenermaßen langweilig, wenn sie auch effizient erscheint. Die Annahme, dass man sich für donnerstags entschied, weil das in vielen Orten der Markttag war, ist eine praktische Lösung. Ist sie auch richtig? Es gibt ein Gerücht, das geradezu vor Britishness trieft: In Zeiten, in denen die Menschen noch am Freitag ihr wöchentliches Gehalt erhielten, strömten am selben Abend alle, wie sollte es in England auch anders sein, in den Pub, um ihr Geld in einen ordentlichen Suff zu stecken. Der Donnerstag, so könnte des Rätsels Lösung sein, wurde also als Wahltag gewählt, weil da die Wahrscheinlichkeit am größten schien, dass die Briten nüchtern im Wahllokal auftauchten.

 

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