Alles koscher

Schabbatabend3

Essen spielt in der jüdischen Kultur eine große Rolle. Koscher zu leben, also rituellen Speiseregeln zu folgen, ist für viele eine Selbstverständlichkeit, vor allem in Jerusalem. Eine Spurensuche.

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Im Grunde ist es eine Frage der Moral, erklärt mir Gilad. Wir sitzen auf seinem Balkon und über die Hügel Jerusalems dröhnt ein Horn, 20, 30 Sekunden lang. Es verkündet jeden Freitagabend, dass in etwa einer halben Stunde der Schabbat beginnt. Dann geht die Sonne unter. Die Straßen leeren sich und viele Jerusalemer eilen in ihrer besten Kleidung zur Klagemauer oder nach Hause zum Schabbatessen mit der Familie oder Freunden.

Gilad hat den ganzen Tag mit seinen zwei Mitbewohnern und Nachbarinnen gekocht. Alle sind Ende 20 und der eine mehr, der andere weniger orthodox. Die WG aber ist koscher. Gilad ist Anwalt, hat aber seinen Job gegen ein Promotionsstudium eingetauscht. Am Nachmittag noch in T-Shirt und Jeans, tragen die Frauen hübsche Kleider, die Männer jetzt ein schickes Hemd, Stoffhose und Kippa. Damit die jüdische Kopfbedeckung hält, haben sie sie mit einer kleinen Klammer im Haar befestigt.

Koschere Küchen gibt es zuhauf in Jerusalem, gerade hier, wo die Religion bei den meisten eine Rolle spielt. Wie könnte sie auch nicht? Man ist umgeben von religiöser Geschichte. Selbst säkulare Israelis haben oft koschere Küchen, um orthodoxe Freunde nicht auszuschließen. Oder sich selbst nicht auszuschließen, so genau weiß man das nie.
Die rituellen Speisevorschriften werden als Kaschrut-Gesetze bezeichnet. Das Einhalten dieser Vorschriften führt in der Vorstellung der Juden zur Harmonie zwischen Körper und Seele.

Ich möchte wissen, was es mit dem koscheren Leben auf sich hat.
Und hier kommen wir zurück zur Moral. Denn eine der bedeutendsten Regeln leitet sich aus einem Spruch der Tora ab: „Du sollst ein Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen.“ Was das heißt?
Gilad erklärt: „Es ist verboten, Milchprodukte zusammen mit Fleisch zu essen, zu kochen oder zuzubereiten.“ Das klingt erst einmal einfach. Obwohl: „Man muss sechs Stunden, nachdem man Fleisch gegessen hat, warten bis man ein Milchprodukt zu sich nehmen darf. Um ganz sicher zu gehen, dass das Fleisch verdaut ist.“ Gilad wartet immer nur drei Stunden. Ein Milchkaffee nach einem Teller Spaghetti Bolognese ist trotzdem verboten. Andersherum ist es einfacher: „Milchprodukte sind bereits nach einer halben Stunde verdaut.“ Aber wer isst denn Schnitzel nach einem Milchshake?

Jetzt zum für mich aufwändigen Part des koscheren Lebens. „Wir haben getrenntes Geschirr. Töpfe, Teller, Schüsseln und Besteck für Milchiges. Töpfe, Teller, Schüsseln und Besteck für Fleischiges. Damit nichts durcheinander kommt, haben wir zwei Spülbecken“, sagt Gilad und zeigt die Aufteilung der Schränke in seiner Küche. Sie ist dementsprechend riesig. In den Innenseiten der Schranktüren steht je nachdem „Milchprodukt“ und „Fleischprodukt“, Ich traue mich kaum, etwas anzufassen. Die Gefahr ist groß, dass ich etwas durcheinander bringe, zumal ich Hebräisch nicht lesen kann. Die Massen an Tellern und Schüsselchen ist jedoch beeindruckend. „Wir haben Geschirr für den täglichen Gebrauch. Doppelt natürlich. Dann haben wir besonders schönes Geschirr für den Schabbat. Auch doppelt.“ Tja, und dann gibt es noch das außerordentlich besondere Geschirr für das Pessach, eins der wichtigsten Feste des Judentums. Nicht zu erwähnen, dass es in doppelter Ausführung in den obersten Schränken auf den jährlichen Einsatz wartet.

Die Tora führt natürlich noch mehr auf: Das Verbot des Blutgenusses.
Blutgenuss – ein Kompositum, dessen beide Wörter sich schon so ausschließen. Die Juden haben, um diese Vorschrift einzuhalten, eine spezielle Schlachtmethode entwickelt, das Schächten. Es geht darum, dass das Blut des Tiers möglichst vollständig herausfließt. Dafür durchschneidet der Schochet, das ist der Schächter, mit einem Messer in einem Zug die Halsschlagader, Luftröhre und Speiseröhre, damit das Blut ablaufen kann. Übrigens, er hat einen Aufpasser. Das ist der Rabbiner. Bei Fragen hilft er. „Natürlich bleibt etwas Blut übrig“, sagt Gilad. Das wird beim Zubereiten der Speisen entfernt, indem man das Fleisch koschert. „Wir legen das Fleisch für eine Weile in lauwarmes Wasser ein, tupfen es dann ab, salzen es und legen es so hin, dass das restliche Blut auslaufen kann.“ Damit es noch genießbar ist, wird es natürlich noch mit Wasser gespült. Der Grund für diese Prozedur? Nach biblischer Vorstellung ist das Blut der Sitz der Seele und darf deshalb nicht verzehrt werden.

Kommen wir zu den Tieren.
„Alle Tiere, die gespaltene Klauen haben, Paarzeher sind und wiederkäuen, dürft ihr essen“, heißt es laut Kaschrut. Kamele, Kaninchen oder Hasen darf man also nicht essen. Sie sind zwar Wiederkäuer, ihnen fehlen aber die gespaltenen Klauen. Das Schwein wiederum hat gespaltene Hufe, ist aber kein Wiederkäuer. Verboten. Geflügel ist erlaubt, solange es sich nicht um Raubvögel handelt. „Aber wer will schon einen Adler essen?“, fragt Gilad. Naja. Keiner. Oder?

Thailand ist in gewisser Hinsicht äußerst judenunfreundlich. Denn auch Insekten gelten als unrein. Gebratene Heuschrecken oder gegrillte Mistkäfer wie man sie in Bangkok an jeder Ecke angeboten bekommt, sind tabu. Das klingt, als sei es leicht einzuhalten. Nur leider verfangen sich im Essen immer wieder Insekten. „Selbst wenn ich in ein vegetarisches Restaurant gehe“, sagt Gilad, „checke ich mein Essen auf Würmer oder Käfer“. Das sollten wir im Übrigen auch tun.

Bleibt der Fisch, machen wir es kurz. Gilad sagt: „Wir dürfen Tiere mit Flussen und Schuppen, die im Wasser leben, essen.“ Das heißt, keine Austern, kein Hummer und kein Aal, keine Muscheln oder Krebse.

Eigentlich, so sind sich die Freunde einig, ist es überhaupt kein Problem, koscher zu leben. Insbesondere nicht in Israel, wo die meisten Cafés und Restaurants koscher sind. Gilad wuchs so auf, er kennt es nicht anders. Seine Mitbewohner ebenfalls. Nur beim Reisen, da tauchen oft Schwierigkeiten auf. Deshalb geht Gilad tatsächlich manchmal mit eigenen Pfannen und Tellern auf Tour. Fleisch lässt er einfach ganz weg.

Da am Schabbat nicht gekocht werden darf, werden die über den Tag zubereiteten Speisen für den Abend warmgehalten. Die Schüsseln stapeln sich in der Küche, Essen über Essen. Gut, dass es zwei Spülbecken gibt.

Jetzt könnte ich einen Roman darüber schreiben, wie ein Schabbat-Abend abläuft, aber dazu ein anderes Mal mehr. Nur soviel: Die koscheren Speisen waren großartig, fünf Gänge und kein bisschen auffällig.

Das Wort koscher kommt übrigens aus dem Jiddischen und bedeutet soviel wie geeignet, tauglich, rein. Alles nicht ganz koscher? In Jerusalem auf jeden Fall.

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