Eine qualvolle Liebe

Schuhe

Schuhe tragen uns durchs Leben und an Sehnsuchtsorte. Auf ganz unterschiedliche Weise können sie Geschichten erzählen, bestimmen Trends oder sind Objekt der Begierde für Mann und Frau gleichermaßen. Das Londoner Victoria & Albert Museum widmet ihnen die wunderbare Ausstellung „Shoes: Pleasure and Pain“.

*

Die Ballerinas wirken wie in Blut getränkt, wie sie fein schimmernd in der Vitrine hängen. Als Symbol der Begierde erinnern sie an ein berühmtes und gleichwohl trauriges Werk. Sie stehen für die unwiderstehliche Verlockung, die zum Tode führt. Es sind Ballerinas aus dem Film „Die roten Schuhe“ aus dem Jahr 1948, in dem die Protagonistin zerrissen ist zwischen der Liebe zu einem Mann und jener zum Ballett. Am Ende begeht sie Selbstmord, ihre letzten Worte gelten ihren unruhigen, roten Schuhen. Die Geschichte ist eine Adaption aus dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen, in dem das Mädchen wie eine Geisel ihrer Ballerinas tanzt und tanzt – am Ende aus dem Leben.

In der Ausstellung „Shoes: Pleasure and Pain“, die bis Ende Januar 2016 im Londoner Victoria & Albert Museum gezeigt wird, werden die qualvollen Seiten, Schuhe zu tragen, ebenso beleuchtet wie die Euphorie, Leidenschaft und Besessenheit, die sie auslösen können. Kein Wunder, dass Cinderellas gläserner Schuh, bekannt aus dem Märchen von Charles Perrault, „Aschenputtel oder Das gläserne Pantöffelchen“ und getragen von Lily James im aktuellen Disney-Film, neben die Ballerinas auf ein Samtkissen gebettet wurde. „Schuhe bestrafen und belohnen, erheben und verführen, beschleunigen und behindern durch ihre Macht der Verwandlung“, fasst eine Erklärtafel zusammen. Die mehr als 250 Paar Schuhe erzählen Geschichten der Verwandlung ihrer Trägerinnen, betonen ihre kulturelle Bedeutung in verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Ecken der Welt und erinnern an Trends, spiegeln die sich ändernden Geschmäcker von Mann und Frau gleichermaßen wieder und zeigen das Kleidungsstück als erotische Fetischobjekte. Die Ausstellung gibt einen Einblick in ein Thema, das fest in unserer individuellen und kollektiven Psyche verankert zu sein scheint. Schuhe erinnern an Lebensphasen und wecken Gefühle. Sie tragen uns durchs Leben und an Sehnsuchtsorte.

So entdecken die jugendlichen Subkulturen seit Jahrzehnten immer wieder die Chucks von Converse neu, bei Musikstars gehören sie fast zur Arbeitsuniform. Dabei wurden die Sneakers 1917 ursprünglich als Basketballschuhe entwickelt. Oder der berühmte Doc Martens, der, eingeführt während des Zweiten Weltkriegs von dem deutschen Arzt Klaus Märtens, schon vor Jahrzehnten Kultstatus erlangt hat. Die Vorreiter der Ugg Boots wurden ursprünglich in den 70er Jahren von australischen Surfern getragen, um die Füße nach dem Wellenreiten warmzuhalten. Heute schlurfen Menschen weltweit in diesen Stiefeln herum. Die Ausstellung geht zurück bis zu den goldenen Sandalen aus dem alten Ägypten. Sie erklärt, dass es noch vor den 1830er Jahren überraschenderweise keine Unterscheidung zwischen rechten und linken Schuhen gab, erläutert anhand von Miniatur-Schuhen die chinesische Tradition des Füßebindens und zeigt historische Chopines aus dem 16. Jahrhundert, auf deren Plateausohlen die Damen aus der Oberschicht, gestützt von Dienern, über die Marmorböden von Venedig wankten. „Frauen, die unpraktische, unbequeme Schuhe und hohe Absätze trugen, waren reich. Es war ein Statussymbol und zeigte: Wir müssen nicht laufen“, erklärt die Kuratorin Helen Persson.

Auch im 21. Jahrhundert wollen viele Schuhe mehr bewundert denn getragen werden, manche sorgen allein beim Anblick für Fallängste. Berühmt wurde etwa der spektakuläre Sturz von Supermodel Naomi Campbell bei einer Modenschau von Vivienne Westwood. Die monströsen High-Heels sind in London ebenfalls zu sehen wie extravagante, an Engelsflügel erinnernde Stiefeletten der Sängerin Lady Gaga oder Stücke von Marilyn Monroe. Nicht fehlen dürfen natürlich filigrane Pumps von Manolo Blahnik, dessen Kreationen durch die Serie „Sex and the City“ zum Inbegriff von Luxus und Weiblichkeit emporstiegen. Sexy? Ja. Zurzeit. Denn was anziehend wirkt, hat sich über die Laufe der Jahrhunderte verändert. Heute sind es Designer wie Sandra Choi, Caroline Groves oder Blahnik, die die Schuhwelt dominieren. Oder Christian Louboutin. Ein Exemplar seiner High-Heels mit der berühmten roten Sohle steht auch in der Schau, gleich neben einem Schuh mit rotem Absatz von Louis XIV. Schon im Jahr 1673 hat der König die betörende Farbe für sein Schuhwerk entdeckt. „Nichts hat sich geändert, die Botschaft ist dieselbe: Schau mich an!“, sagt Kuratorin Persson.

Insbesondere eine Sache hat sich aber doch gewandelt, vor allem in den letzten Jahrzehnten: Die Produktion. Die Branche ist dank der Hersteller von Turnschuhen heute komplett globalisiert. Und blickt vor allem nach China. Während noch im Jahr 1986 lediglich acht Prozent der weltweiten Fußbekleidung in der Volksrepublik produziert wurde, gehen Schätzungen davon aus, dass es heute sechs von zehn Paaren sind.

Schuhe3

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.