Lehrstunde im TV

Hatufim

Das israelische Fernsehen bringt immer wieder großartige Serien hervor, die einen Einblick in innergesellschaftliche Debatten geben. Zwei Empfehlungen.

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Ich bin in gewisser Weise dem israelischen Fernsehen verfallen oder besser gesagt den Serien. Nicht, dass dies für einen Serienfan verwunderlich wäre, aber in Israel haben die zum Teil überragenden Sendungen doch auch lehrreichen Charakter. Sie geben Einblick in die Denk- und Lebensweisen der Israelis. Sie sind es, die oft versuchen, politische Debatten oder innergesellschaftliche Probleme aufzugreifen. Zu einem großen Teil schaffen sie es mit Erfolg.

Als Paradebeispiel dient „Hatufim – In der Hand des Feindes“, die bislang erfolgreichste Serie in Israel. Sie wurde in diesem Jahr auch auf Arte gezeigt, ergo einem Randpublikum. Schade eigentlich, denn die Vorlage der gefeierten und preisgekrönten US-Serie „Homeland“ ist großartig. Es ist die Geschichte von drei israelischen Soldaten, die 17 Jahre lang im Libanon in Kriegsgefangenschaft saßen. In einem Deal werden sie für palästinensische Gefangene ausgetauscht. Zwei der Soldaten kommen frei, der dritte ist verschwunden, vermutlich tot. Israel feiert, doch mit der Freilassung beginnen die Probleme für die Rückkehrer und ihre Familien. Was macht jahrelange Isolation aus den Menschen und ihrem Umfeld?

Es ist weniger eine spannende als vielmehr authentische Serie mit Charakteren, die detailreich und menschlich dargestellt werden. Es geht nicht um Helden, sondern eher um gebrochene Männer, die nur schwer wieder in ihren Alltag finden und unter dem Trauma der Gefangenschaft leiden. Dabei sind auch die drei Israelis nicht nur Opfer. Sie wurden während eines Einsatzes gekidnappt, als sie ein Mitglied der Terrorgruppe „Kinder des Dschihad“ töten sollten.

In einem Interview mit dem Autor von „Hatufim“, Gideon Raff, habe ich gelesen, dass er im Vorfeld viel mit Ex-Soldaten gesprochen hat. Und so basieren einige Szenen auf der Realität, etwa wenn in der Serie gezeigt wird, wie die Protagonisten mit Scheinerschießungen gefoltert werden.

Die Serie spiegelt viel von der Realität der Gesellschaft wider. Denn in Israel sind die Verhandlungen um die Freilassung von Soldaten ein zentraler Teil der öffentlichen politischen Debatte. Ein Freund erzählte mir, dass so gut wie jeder jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der in Kriegsgefangenschaft war. Alle haben dazu eine Meinung, da fast jeder Israeli in der Armee dienen muss und dadurch das Schicksal eines Soldaten auch immer als eigenes Schicksal begreift. Das Thema Kriegsgefangene ist deshalb immer ein Politikum, von Gegnern wird der hohe Preis hinterfragt, der stets für einen Austausch bezahlt wird. Soll die Politik bis zum Äußersten für die Freilassung kämpfen, auch wenn dadurch vielleicht im Gegenzug Dutzende oder gar Hunderte dem Terrorismus beschuldigte palästinensische Gefangene frei kommen? Oder lieber in Rücksicht auf die Angehörigen der Terroropfer handeln und jene zum Teil für Mordanschläge Verantwortliche für immer hinter Gittern lassen – auch wenn dies auf Kosten der eigenen Soldaten geschieht?

Die Diskussion, die auch in Hatufim zur Sprache kommt, wurde im Jahr 2011 weltweit geführt, als der israelische Soldat Gilat Shalit, der 2006 von der Hamas entführt wurde, für 1027 Menschen, die in israelischen Gefängnissen einsaßen, ausgetauscht wurde. Richtig? Falsch? Wie viel ist ein Menschenleben wert? 

Eine weitere aufschlussreiche Serie ist „A touch away“, eine Romeo-und-Julia-Geschichte nach israelischer Art. Sie handelt von einem jungen, nicht religiösen jüdischen Einwanderer aus Russland, der sich in einem Tel Aviver Vorort in eine junge Israelin aus einer ultra-orthodoxen Familie verliebt. Die 17-Jährige ist bereits einem gleichaltrigen Jungen versprochen und so können die Probleme beginnen.

Interessant finde ich vor allem, dass die Serie einen Einblick in jüdische Lebenswelten und jüdische Lebensarten gibt. Dass beispielsweise die Protagonistin nicht mit fremden Männern sprechen darf, geschweige denn darf sie sie berühren. Wenn sie es doch tut, muss die Familie mit dem Rabbi abwägen, ob es bei dem Zwischenfall um „Leben oder Tod“ ging und das No-Go deshalb toleriert werden kann. Welche Bedeutung hat Familie in ultra-orthodoxen Gemeinschaften? Wie sieht der Alltag von Frauen aus, wenn sie denn mal verheiratet sind? Die Serie zeigt, dass in der streng religiösen jüdischen Gesellschaft altruistische Rollenbilder tief verankert sind. Dass Religion bei jeder Frage eine Antwort liefert. Dass Zudem wird veranschaulicht, dass es nicht nur ein Problem ist, wenn sich Juden und Christen oder Juden und Muslime verlieben. Wobei Problem in diesem Zusammenhang etwas verharmlosend klingt. Zu heiraten ist unmöglich, eine Beziehung zu führen kaum vorstellbar.

Doch hier handelt es sich nicht um interkonfessionelle Beziehungen und dennoch spricht jeder von einem Skandal, von einer Schande für die Familie. In ultra-orthodoxen Gemeinschaften heiratet man nur unter sich. Weniger religiöse Menschen finden keinen Zugang, eine Heirat „nach außen“ würde zum Ausschluss aus der Gemeinde und aus der Familie führen. Die Regeln und Vorschriften innerhalb von ultra-orthodoxen Gesellschaften sind immens, die Vorurteile und Abneigung gegenüber Einwanderern, auch jüdischen, riesig.

Die Serie zeigt die Zerrissenheit zwischen den ultraorthodoxen und den säkularen Israelis. Die Diskussion wird hier sowohl in Bars als auch in den Medien ständig geführt und eine Annäherung findet kaum statt. Im Gegenteil, die israelische Gesellschaft spaltet sich immer tiefer.

Israelische Serien als Lehrstunde. Mehr davon.

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