Wirtschaftsfaktor Jesus

Bethlehem

Bethlehem im Westjordanland lebt vom Tourismus, doch die Besatzung macht der lokalen Wirtschaft zu schaffen. Viele Palästinenser kritisieren, dass Israel ihnen das Geschäft kaputt mache.

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Bethlehem ist ohne eigenes Zutun ein Touristenmagnet. Kein Wunder, hier soll Jesus geboren sein. Bis zu zwei Millionen Menschen pilgern jährlich in das Städtchen und besuchen die Geburtskirche.

Scharen von fotografierwütigen Touristen drängen sich durch den kleinen Kircheneingang, immer darauf bedacht, mit ihren Regenschirm-Führern Schritt zu halten. Russen, Spanier, Deutsche, Japaner, Nigerianer – sie alle wollen zu dem Silberstern, an dem Jesus geboren sein soll. Dieser Punkt befindet sich in der Geburtsgrotte, zu der im vorderen Teil des Kirchenschiffs einige Stufen hinunter führen. Es gibt kaum eine Zeit, in der sich keine Schlange vor dieser von Laternen erleuchteten mysteriösen Stätte bildet. Wer an der Reihe ist, macht das, was bereits Millionen Besucher zuvor getan haben: Niederknien, Boden küssen, noch kurz lächeln bitte, Foto, klick, aufstehen, raus, der Nächste ist dran.

Doch auch abseits der Geburtskirche kann sich Bethlehem, das nur etwa 28000 Einwohner hat, sehen lassen. In den engen Altstadtgassen verkaufen Händler Andenken aus dem Heiligen Land. Das Angebot aus Jesusbildchen, geschnitzten Madonnen, aus Olivenholz gedrechselten Krippen, Kruzifixen und Schals in allen erdenklichen Farben ist auf die Touristen abgestimmt. Auch der Markt, auf dem es wuselt wie im Bienenstock, bietet Besuchern das typisch arabische Erlebnis: Staunen, Feilschen, Kaufen.

Bethlehem sollte also ohne Zweifel ein Paradies für all diejenigen sein, die vom Tourismus leben. Souvenirverkäufer, Taxifahrer, Touristenführer, Hotelbesitzer.
„Ein Paradies? Es ist das Gegenteil“, sagt Matheos Al Kassis. Er ist selbstständiger Tourguide in Bethlehem und verbringt bis zu zehn Stunden pro Tag vor der Geburtskirche. Zum größten Teil wartend. Das hat mitunter damit zu tun, dass Bethlehem im Westjordanland liegt und damit zu den Palästinensischen Autonomiegebieten gehört.

Würden Maria und Josef heute nach Bethlehem wollen, hätten sie nämlich einige Hürden zu überwinden. Die größte ist die bis zu acht Meter hohe Stahlbetonmauer, die den Ort zu großen Teilen umgibt. Bethlehem ist zwar nur zehn Kilometer entfernt von Jerusalem, doch wer hin will, muss die Grenzkontrollstelle durchqueren.
Es ist umständlich geworden, den vermeintlichen Geburtsort Jesu Christi zu besuchen.

Israel hatte die Sperranlage ab 2003 nach zahlreichen Selbstmordanschlägen errichtet. Die meisten Attentäter kamen aus dem Westjordanland, einige sogar aus Bethlehem. Seit dem Bau der Mauer gibt es kaum mehr Selbstmordanschläge, aber auch die Arbeit von Matheos Al Kassis und seinen Kollegen ist weniger geworden. Sie fühlen sich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und leiden unter der Besatzung durch Israel.

Bethlehem ist wie ein großer Kuchen, von dem alle etwas abhaben wollen. Laut Palästinenser stillt aber vor allem Israel seinen Hunger und sorge dafür, dass für sie nur Krümel bleiben. So wird es beispielsweise Touristen, die mit einem gemieteten Auto auf eigene Faust die Region erkunden wollen, schwer gemacht, ins Westjordanland zu fahren. Meistens greift hier die Versicherung nicht.
Die Busse, die von Jerusalem nach Bethlehem fahren, halten anders als früher nicht mehr direkt in der Altstadt, sondern etwas außerhalb an einer lauten Hauptstraße. Es gibt keine Schilder, keine Orientierungspunkte. „Was? Hier ist Bethlehem?“ Die Reise ist nicht sehr besucherfreundlich. Viele Touristen seien davon abgeschreckt, sind sich die Palästinenser einig. Sie wollen die Methode der israelischen Behörden durchschaut haben.

„Israel erzählt den Touristen, dass es zu riskant ist, alleine nach Bethlehem zu kommen“, sagt Hisham Ikhmayes, ebenfalls Tourguide. Er steht seit fünf Stunden vor der Geburtskirche und spricht einzelne umherirrende Touristen an. Bislang vergeblich. An diesem Tag hat der Palästinenser bis um 15 Uhr noch keinen Schekel verdient, obwohl er jedem, der es sehen oder auch nicht sehen will, sein Reiseführer-Diplom zeigt. Er trägt es, fein säuberlich in eine Glassichthülle gesteckt, immer in seiner Brusttasche.

Im Minutentakt ziehen Gruppen mit israelischen Führern an ihm vorbei, fast alle Touristen haben eine Tour bei israelischen Reiseveranstaltern gebucht. „Und wir schauen zu“, beschwert sich der 54-jährige Christ. Mit verschränkten Armen und resigniertem Blick leiden Hisham Ikhmayes, Matheos Al Kassis und ihre Kollegen. Während es Israelis nicht gestattet ist, ins Westjordanland zu reisen, erlaubt es die Regierung mittlerweile, dass israelische Reiseführer ihre Gruppen begleiten. Ein Desaster für die heimischen Führer und die örtliche Wirtschaft. Dabei trägt Bethlehems Tourismus zwischen 13 und 15 Prozent zum palästinensischen Bruttoinlandsprodukt bei. Jeder dritte Beschäftigte von Betlehem verdient sein Geld in der Tourismusindustrie.

Natürlich sind die Hotels in der Palästinenserstadt zur Weihnachtszeit ausgebucht. Doch was, wenn nicht Weihnachten ist? Ungeachtet der Härten erlebte die historische Stadt in den vergangenen Jahren einen neuen Tourismusaufschwung. Nur leider spürt Matheos Al Kassis den nicht. „Die meisten Besucher kommen nur für einen Tag, oft verbringen sie lediglich zwei Stunden in Bethlehem“, sagt er. Restaurants, Cafés oder Hotels profitieren deshalb kaum von ihnen.

Die Touristen lassen es mit sich machen: Seit der Zweiten Intifada ab dem Jahr 2000 gilt Bethlehem vielen als unsicher. Angeheizt wird das Gefühl von der israelischen Bevölkerung und Tourismusindustrie, die davon abraten, alleine ins Westjordanland zu reisen. „Der Tourismus in Bethlehem ist abhängig von Israel und dessen Empfehlungen“, sagt Matheos Al Kassis. Es müsse bekannt werden, dass die Stadt sicher ist. Zudem fordern die Guides wenigstens einen Bus direkt in die Altstadt. Wie früher, vor dem Bau der Barriere. „Wir haben doch sowieso schon fast nichts: Keinen Flughafen, keine Reiseagenturen, wir dürfen die Besucher ja nicht einmal vom Flughafen in Tel Aviv oder von Jerusalem abholen“, klagt der Palästinenser.

Viele Hotels, die vor der Zweiten Intifada öffneten, mussten mangels Besucher wieder schließen. Zwar hat sich die Lage nach dem Ende des gewaltsamen Konflikts wieder gebessert, doch auch jetzt im September 2013 stehen viele Betten leer. Zu den existierenden Problemen kommt die instabile Lage in Syrien, die viele Ausländer vor einem Urlaub im Nahen Osten zurückschrecken lässt.

Die Anzahl der Taxis übersteigt bei Weitem die der Individualtouristen. Jeder, der nur im Ansatz wie ein Ausländer aussieht, wird ungeduldig angehupt. „Es gibt einfach zu wenige Besucher, die überhaupt ein Taxi brauchen könnten“, sagt einer der Fahrer.

Auch die meisten Altstadt-Händler sitzen selbst auf ihren Holzschemeln, die sie eigentlich verkaufen wollen.

Assem Barakat ist einer von ihnen. Der Christ kann von seinem Laden aus die zahlreichen Touristen sehen, doch zu ihm verirren sich nur wenige, obwohl er nur einige Meter von der Geburtskirche entfernt seinen Souvenirladen in dritter Generation führt. Er leidet ebenfalls unter den Auswirkungen der Besatzung und der „Gehirnwäsche Israels“, wie er sagt. „Die organisierten Reiseveranstalter sagen zu den Urlaubern: Achtung, Achtung, seid vorsichtig, wenn ihr in die Altstadt geht.“ Das sei ein abgekartetes Spiel. An die Gewinner fließe das Geld der Besucher. Diejenigen, die für den Betrug zuständig seien, erhielten die Provision.

Die Palästinenser wünschen sich ein offenes, ein freies Bethlehem – ohne Mauern und Sperrzäune. Denn die Bewohner brauchen die Besucher. „Bethlehem ohne Touristen ist nichts, absolut nichts“, sagt Matheos Al Kassis und unterstreicht seine Worte mit großer Gestik. Sieben Kollegen stehen arbeitslos um ihn herum und nicken. Zum Glück ist bald Weihnachten.

1 Kommentar

  1. Liebe Katrin,
    ich lese regelmäßig! Tolle Geschichten. Ich bin begeistert.
    Liebe Grüße aus Dresden.
    Deine Franzi

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