Zum Tee bei Ihrer Majestät

Jedes Jahr richtet Königin Elizabeth II. im Buckingham-Palast drei Gartenpartys aus. Eingeladen sind ausgewählte Briten, die sich um das Königreich verdient gemacht haben. Die Damen tragen Hüte, die Männer Morgenanzug oder Uniform und die Sandwiches sind genauso perfekt zubereitet wie der Tee. Höhepunkt? Wenn die Queen erscheint.

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Es ist drei Minuten nach vier, einige spülen noch eilig das Eier-Mayonnaise-Schnittchen mit Tee herunter, andere versuchen in der Menschenmenge ihre durch langes Warten gesicherte freie Sicht auf die Terrasse des Buckingham-Palasts nicht zu verlieren, da erscheint sie endlich: die Königin, der am längsten dienende Souverän der britischen Geschichte. Elizabeth II. ist die Ewige, wenn man so will, und deshalb herrscht unterm aufgebrezelten Fußvolk bei ihrem Auftauchen dann auch eine andächtige, fast bizarre Stille, als hielten die 8000 Gäste gleichzeitig ehrfürchtig den Atem an. Es soll sogar vorkommen, dass mache vor lauter Starre vergessen, die Handykamera zu zücken. Ohne Zweifel ist es eine Ehre, dabei zu sein, dementsprechend groß die Aufregung. Gewohnt farbenfroh führt die Queen, die live noch kleiner daherkommt als sie auf Fotos und im Fernsehen wirkt, im pastellblauen Mantelkleid und passendem Hut den royalen Tross an. Dem gehören an diesem Nachmittag auch Prinz William und Herzogin Catherine an, die wiederum live noch viel größer daherkommt als sie auf Fotos wirkt. Obendrein anwesend: Familienmitglieder, die aufgrund ihres B- und C-Status’ zumeist und zurecht namenlos bleiben. Man muss sich auch nichts vormachen: Es geht hier vor allem um die Königin. 93 Jahre alt, Symbol einer ganzen Nation und Gegengift zur wechselhaften Zeit und Welt, die durch Kontinuität und absolute Hingabe das Selbstbewusstsein des Landes stärkt, das dieser Tage mal wieder ganz besonders down ist. Brexit, politische Dramen, Machtspielchen, es hört nicht auf. Dieser Nachmittag ist wie eine Streicheleinheit für die geschundene Seele der Nation.

Am vergangenen Dienstag lud das Staatsoberhaupt zum zweiten Mal in 2019 ausgewählte Briten in den Garten des Buckingham-Palasts ein, die sich in irgendeiner Form um das Königreich verdient gemacht haben. Wobei die Bezeichnung Garten die Sache nicht ganz trifft, die Grünfläche ist vielmehr weitläufiger Park mit Rosenstöcken, jahrhundertealten Bäumen und Rhododendron-Büschen, all das mitten in London. Ein See liegt da drin, und ein im Einladungspaket mitgeliefertes Faltblatt informiert darüber, dass der Wissenschaft und ergo der ganzen Welt zwei hier wachsende, bis dato unbekannte Pilzarten geschenkt wurden.

Als Zeichen dafür, dass das Event offiziell beginnt, spielt die Militärkapelle erst mal die Nationalhymne, nur stimmt niemand ein. Zu merkwürdig das Gefühl, „God save the Queen“ zu singen, wenn die in dritter Person besungene Dame mehr oder minder vor einem steht. Glücklich jene, die sich eine der kostbaren Einladungen verdient haben, die im Auftrag ihrer Majestät von einem gewissen Lord Chamberlain, seines Zeichens höchster Beamter am Hof, verschickt werden. Das königliche Wappen ist allein ein Blickfang, golden einprägniert in die Karte aus dickem, unbiegsamem Karton. Mit einher gehen alle möglichen Regeln, die es für die Besucher zu beachten gilt. Insbesondere die strenge Kleiderordnung sorgt im Vorfeld mitunter für Stress. Für die männlichen Gäste gilt der Dresscode „morning suit“, ein festlicher Tagesanzug oder Uniform. Frauen tragen knielange Kleider, Perlen, Glitzerschmuck und vor allem: Hüte, Hüte, Hüte. In groß und klein, rot, blau, lila oder gelb, mit künstlichen Rosen oder Schleifchen besetzt, versehen mit schrillen Blumenbuketts, breiten Krempen oder Türmen aus Tüll – der Gehweg zum Palast ein einziger Laufsteg. Frau mietet im Übrigen gerne, für läppische 70 bis 120 Pfund, umgerechnet zwischen 80 und knapp 140 Euro, verleihen Boutiquen Designerstücke für den Tag. Die wenigsten sind im Besitz solcher Prachtstücke.

Nun schlurfen und staksen und stolzieren die Gäste also über den roten Teppich durch die Eingangshalle des Buckingham-Palasts in die grüne Oase hinter den königlichen Gemächern. Der Lärm, der Smog, die Massen, alles bleibt draußen. Drinnen dann ein lebendiges Museum. Ruhe. Frieden. Paradiesisch fast. Das Gefühl, zur High-Society zu gehören und sei es nur für wenige Stunden, wird mit jedem Schritt größer und beglückender.

Auf eine Tasse Tee bei den Windsors – der Nachmittag umfasst so ziemlich alles, was viele Briten an sich und ihrem Land lieben. Pomp, Prunk und Pracht. Der Glanz der Monarchie, die lange Geschichte und das Erbe des Empire sitzen tief in den Gemäuern des Palasts wie auch in den Traditionen, die bei Gartenpartys rituell gefeiert werden. Das beginnt schon vor dem eigentlichen Spektakel, wenn sich kurz vor 15 Uhr vor der hohen Mauer unzählige Menschen einfinden – sie sollen von Krankenpflegern und ehrenamtlichen Gemeindehelfern über Militärangehörige bis zu Kirchenvertretern und solchen des Commonwealth einen Querschnitt durch die Gesellschaft bilden – die Garden Party als royales Dankeschön für den Dienst an der Gesellschaft. Selbst ein paar Journalisten, darunter die Autorin, schaffen es mit Glück auf die Liste.

Thema des Tages aber ist zunächst, wir sind ja in England: das Schlangestehen. Das frühe Ausharren vor den noch geschlossenen Palasttoren wird zwar das erste, aber gewiss nicht das letzte Mal sein, dass die erlesenen Gäste warten müssen. Am schnellsten kommt man noch vor den Toiletten voran. Länger dauert dagegen der Weg zu den üppigen Buffets, vor denen sich die Menschen in – wie soll es anders sein – perfekten Linien arrangiert haben. Extrapunkte gehen an die hunderte Geduldigen, die nach der Veranstaltung in der Schlange des Jahres vor dem Palast feststecken, weil sie ein Taxi ergattern wollen. Der berühmten britischen Höflichkeit, ist es zu verdanken, dass es nicht zu Zwist und Tumult kommt. Schließlich, man kennt das ja.

Während die Besucher später Mini-Lachs-Bagel genießen, schreitet das gekrönte Haupt mit Handtasche am Arm, Sonnenbrille auf der Nase und, für den Schatten in der Not, Regenschirm in der Hand, durch den kunstvoll eingerichteten Korridor. Immer wieder macht die Queen bei ausgewählten Gästen kurz Halt und plaudert. Ihre größte Sorge sei stets das Wetter, verrät Ihre Majestät bei dieser Gelegenheit der 50 Jahre alten Lehrerin Victoria English. „Man hofft natürlich, dass die Sonne scheint, wenn man 8000 Menschen zum Tee in den Garten einlädt.” Victoria English nickt verständnisvoll, solche Sorgen hätte sie vermutlich auch gerne. Die Geladenen ramponieren unterdessen den perfekten Rasen, ein vorab eingepreister Kollateralschaden. Es gibt in Großbritannien kein exklusiveres gesellschaftliches Ereignis als diese Gartenpartys, zu der die Queen jedes Jahr lädt. Drei Mal im Buckingham-Palast, einmal hoch oben in Schottland, das Prozedere aber immer identisch.

Der wie mit dem Lineal getrimmte Rasen gehört im Übrigen zu den beliebtesten Smalltalk-Themen der Gartenkultur-besessenen Briten an diesem Nachmittag. Neben dem Wetter und an dieser Stelle fürs Protokoll: Es war „such a lovely day“, kein Regen, Sonne, kaum Wolken. London eben, meteorologisch erheblich besser als sein Ruf, auch wenn die auf dem Kontinent immer noch glauben, es regne und neble hier ununterbrochen. Noch mal fürs Protokoll: falsch.

„Das ist ihr Zuhause, ihr Garten, und wir dürfen hier sein“, haucht eine Dame beeindruckt und dreht sich um sich selbst – ganz vorsichtig, stets darauf bedacht, dass ihr gelbes Blütenkunstwerk aus Seidenbändern auf dem Kopf nicht verrutscht. Sie kam mit ihrem Mann aus dem walisischen Swansea angereist, im richtigen Leben arbeitet sie für eine Wohltätigkeitsveranstaltung, die Obdachlose unterstützt. Nun schlürft sie äußerst süße Zitronenlimonade aus ökofreundlichen Bechern – ein Gruß des Königs im Wartestand, Chef-Naturschützer Prinz Charles.

Die smalltalkende Queen braucht eine knappe Stunde, bis sie an einem speziellen, von einem Krönchen geschmückten Zelt angekommen ist. Es wird ausnahmsweise von den zeremoniellen Leibwachen der Monarchin, den Yeomen of the Guard, sonst im Tower of London zu Hause, bewacht. Dort steht der Nachmittagstee auf dem Tisch, den Familie König in einem erlauchten Kreise zu sich nehmen. Da tummeln sich dann die Reichen, Schönen, Berühmten und Mächtigen. Die eher zur Holzklasse gehörenden Fans stehen in sicherer Entfernung im Halbkreis und schauen zu. Das hat ein bisschen was von Zoo.

17 Uhr. Tea time. Logisch. Der Rest des Fußvolks pilgert solange zum großen Zelt, wo fein gerollte Hühnchen-Spargel-Wraps, Schinken-Tomaten-Sandwiches mit abgeschnittenen Rändern, Himbeer-Shortbread sowie Miniaturtörtchen, und ja, sogar vegetarische Optionen, bereitstehen. Dazu literweise Tee, Saft aus britischen Äpfeln und Eiskaffee. Die Royals gehen mit den Getränketrends – trotz der rund 150 Jahre langen Geschichte der Gartenpartys, die unter Königin Victoria noch Frühstücke hießen, obschon sie damals schon am Nachmittag stattfanden. Für den Wohlfühlfaktor spielen die beiden Kapellen passende Evergreens wie „I’m in Heaven“ und „There’s No Business Like Show Business“. Kurz vor 18 Uhr ziehen sich die Queen und der Rest der Sippschaft in ihre Räumlichkeiten zurück – ein erster Wink, dass nun Schluss ist. Als endgültiger Rausschmeißer dient aber die Nationalhymne. Und diesmal, beschwipst von so viel Herrlichkeit und feinem Tee, singen einige sogar leise mit.

 

 

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