Zwei Völker, ein Stuhl

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Einige Monate in Israel haben mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Es gibt kein Schwarz und Weiß, zu viele Interessen spielen eine Rolle. Der Nahostkonflikt steckt in der Sackgasse, die aktuellen Friedensgespräche wirken vor allem wie Symbolpolitik. Ein subjektives Resümee. 

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Jerusalem hat einen Zauber wie keine andere Stadt auf der Welt. Der Zauber hüllt jeden ein, der sich darauf einlässt und es ist schwer, ihn wieder loszuwerden. Aber wer will das schon? Das Licht scheint goldener als anderswo, die Geschichte dieses Ortes ist eindrücklicher und die Menschen, die hier leben, sind unterschiedlicher wie sie es nirgendwo sonst sein könnten. Welten treffen aufeinander – im wahrsten Sinne des Wortes. Genau deshalb ist jeder Tag spannend und jedes Gespräch erleuchtend. Aber hier überschattet die Realität leider auch allzu häufig den Zauber.

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Nicht nur der Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis ist in jedem Winkel der engen Altstadtgassen allgegenwärtig, auch innerhalb der Gesellschaften prallen Lebenswelten aufeinander.

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Israel kämpft mit sich. Säkulare Kräfte hadern damit, dass ultra-orthodoxe Gemeinschaften mehr und mehr Einfluss gewinnen. Aber selbst innerhalb der religiösen Juden gibt es ständig Unruhen. Auf der einen Seite jene, die das Judentum moderner und zwischen den Geschlechtern gleichberechtigter sehen wollen, auf der anderen Seite die Traditionalisten, die den modernen israelischen Staat ablehnen. Noch immer fußt der Alltag auf der jüdischen Religion, gerade Themen wie Heirat oder Scheidung werden von Rabbis bestimmt. Das führt dazu, dass in vielen Familien junge Mädchen „verkauft“ werden, dass eine Heirat zwischen jüdischen Männern und christlichen Frauen de facto nicht möglich ist und dass es für Frauen äußerst schwierig ist, sich scheiden zu lassen. Für all diejenigen, in deren Leben Religion eine untergeordnete Rolle spielt, sind das tiefe Eingriffe in ihren Alltag.

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Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten enorm. Die Kluft zwischen arm und reich wird größer. Das meiste Geld frisst der überdimensionierte Militärapparat auf, der „zum Schutze Israels“ dienen soll. Die Angst vor Anschlägen, Attentaten und Angriffen von Seiten der Palästinenser ist groß, bis unter die Zähne bewaffnete Soldaten stehen an jeder Ecke, Grenzen, Sicherheitscheckpoints und Mauern sollen helfen. Dabei fehlt dieses Geld im System. Die Preise für Mieten, Nahrungsmittel und Energie sind so hoch wie nie, derweil stagnieren die Löhne. Doch kaum jemand traut sich, sich gegen diese zum Teil verschwenderische Art aufzulehnen. Sicherheit hat oberste Priorität.

Vor allem in Tel Aviv kämpfen unterdessen Menschen aus Eritrea, aus dem Sudan oder aus Äthiopien gegen den Rassismus, der ihre Flucht ins heilige Land vom Traum zu einem weiteren Albtraum verkommen lässt. Wie kann ein Volk, das wie kein anderes mit der Vergangenheit hadert, so mit Ausländern umgehen?

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Gerade finden Friedensgespräche statt. Meiner Meinung nach ist das reine Symbolpolitik internationaler Staaten. Denn sowohl in Israel als auch in den palästinensischen Gebieten herrscht keine Hoffnung, dass sich in naher Zukunft am Status quo etwas ändern könnte. Wie auch? Es gibt keine Lösung, zu viele Aspekte sind ungeklärt und lassen sich auch nicht klären.

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Rechte israelische Regierungsmitglieder stellen den Sinn solcher Verhandlungen sowieso in Frage, zudem kann Israel kaum Interesse daran haben, etwas zu ändern. Zurzeit haben sie gewonnen, sie haben die Palästinenser besiegt – in jeglicher Hinsicht. Sowohl in Gaza als auch im Westjordanland herrscht Frustration. Wirtschaftliche Probleme überlagern alle Wünsche nach einem eigenen Staat. Die Jugend strebt eher danach, einen Job, eine Ehefrau oder einen Ehemann zu finden und eine Familie zu gründen, als dass sie wie ihre Eltern- oder Großelterngeneration Aktionen für die palästinensische Freiheit starten und danach in israelischen Gefängnissen landen. „Was nutzt das noch?“, fragen sich viele Jugendliche, die nichts anderes als die Besatzung kennengelernt haben.

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Solange sich die kleinen Dinge in dieser Region nicht ändern, werden auch große Pläne keinen Sinn haben. Was weiß die Weltgemeinschaft schon von der Angst der Israelis? Die schrecklichen Erfahrungen des Holocausts sitzen tief im Bewusstsein und bei jeder Aussage von arabischen oder iranischen Politikern, Israel werde nicht als Staat anerkannt und müsse vernichtet werden, schrecken die Israelis ob ihrer Geschichte tief verletzt auf.

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Was weiß die Weltgemeinschaft von der Demütigung, die Palästinenser jeden Tag erleben? Wenn sie beispielsweise Checkpoints via Bus passieren wollen und, anders als Ausländer, von Soldaten angewiesen werden auszusteigen, sich in einer Reihe aufzustellen und ihre Pässe vorzuzeigen. Warum das nicht im Bus geschieht wie es bei den restlichen Reisenden der Fall ist? Fragen bringen nichts. Auch keine Antworten.

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Es gibt kaum Kontakt zwischen Israelis und Arabern. Der ist auch von der Politik nicht gewollt. Dass israelische Siedler im Westjordanland das israelische Recht genießen und ihre palästinensischen Nachbarn unter militärischem Recht stehen, was dazu führt, dass Gesetze auf unterschiedliche Weise angewendet werden, ist ebenfalls ein Aspekt, der täglich zu Provokationen, Aggressionen und Konflikten führt.

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Zwei Staaten als Lösung? Jeder, der sich die Mühe macht und eine Karte zur Hand nimmt, kann sehen, dass die Zeit für solch eine Lösung wohl vorbei ist. Zu viele israelische Siedlungen haben sich schon in die palästinensischen Gebiete gefressen, zu tief ist die Kluft zwischen Fatah und Hamas. Palästinensische Flüchtlinge, deren Land auf israelischen Boden liegt und die immer noch ihre Hausschlüssel als Symbol für ihre Wiederkehr in ferner Zukunft aufbewahren, wären nicht zufrieden gestimmt. Genauso wenig wie die Einwohner Gazas, die in einer Enklave leben, abgeschottet von der Außenwelt.

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Und dann wären wir wieder beim zauberhaften Jerusalem, das wohl größte Problem jeglicher Friedensverhandlungen. Insbesondere der Tempelberg, den die Juden beanspruchen, auf dem jedoch die Al Aqsa-Moschee steht, wird jegliche Friedensgespräche ins Aus laufen lassen. Religion und Emotionen spielen eine größere Rolle als jegliche Aussicht auf Frieden. Dabei gibt es in dem Konflikt nicht nur zwei Seiten. Kein richtig oder falsch, kein schwarz und weiß. Dutzende Facetten schimmern wie in einem Kaleidoskop mit ihren Interessen durch das komplizierte Bild des Konflikts, durchbrochen von viel mehr Problemen und Konflikten.

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Am Ende zählt weder Religion, Vernunft oder der Wunsch nach Frieden, sondern Land. Nicht umsonst trägt das Kinderspiel „Die Reise nach Jerusalem“ diesen Namen.

Zwei Völker scheinen keinen Platz auf einem Stuhl zu haben.

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